Verlorene Illusionen (German Edition)
bestand aus drei Gängen und kostete mit einem Schöppchen Wein oder einer Flasche Bier achtzehn Sous, und mit einer ganzen Flasche Wein zweiundzwanzig Sous. Was diesen Freund der Jugend ohne Zweifel gehindert hat, ein großes Vermögen zu erwerben, war ein Artikel seines Programms, der in großen Buchstaben auf seinen Plakaten zu lesen war und also lautete: »Brot kostet nichts!« was natürlich den Wirt sehr viel kostete. Viele berühmte Leute haben Flicoteaux zum Nährvater gehabt. Gewiß hat das Herz von mehr als einem berühmten Mann die Freuden von tausend unsagbaren Erinnerungen gekostet, wenn er die Front dieses Hauses mit den kleinen Fenstern an der Place de la Sorbonne und der Rue Neuve-de-Richelieu wiedersah, die Flicoteaux II und III noch bis zu den Julitagen im alten Stand gelassen hatten: sie wies noch die braune Farbe auf, das ganze alte respektable Aussehen, das eine tiefe Verachtung gegen das schwindelhafte Äußere an den Tag legte, während heutzutage fast alle Restaurateure aus ihrem Haus diese Art Annonce für die Augen auf Kosten des Magens machen. An Stelle des Haufens ausgestopften Wildbrets, das dazu bestimmt ist, nicht gekocht zu werden, an Stelle dieser absonderlichen Fische, die das Wort des Hanswursts bewahrheiten: »Ich habe einen schönen Karpfen gesehen, in acht Tagen will ich ihn kaufen«, an Stelle dieser Gerichte, die einem den Magen verderben, die in anlockenden Schaufenstern zum Genuß der Unteroffiziere und ihrer Schätze ausgestellt sind, stellte der wackere Flicoteaux Schüsseln aus, die mannigfach geflickt waren, auf denen Haufen von gekochten Pflaumen das Auge des Hungrigen erquickten, der sich darauf verlassen konnte, daß das Wort Dessert, mit dem auf andern Speisekarten so viel Mißbrauch getrieben wird, kein leerer Buchstabe ist. Die Sechspfundbrote, die in vier Stücke geschnitten auf den Tischen lagen, beruhigten hinsichtlich des versprochenen Gratisbrotes. So beschaffen war der Luxus dieses Wirtshauses, das Molière zu seiner Zeit gefeiert hätte, so drollig und bezeichnend ist der Witz, der in dem Namen Flicoteaux[Feinschmecker] steckt. Flicoteaux existiert noch, er lebt so lange, wie die Studenten leben wollen. Man ißt sich dort satt, nicht mehr und nicht weniger; aber man ißt dort, wie man arbeitet, mit einer Energie, die melancholisch oder vergnügt ist, je nach Charakter oder Umständen. Dieses berühmte Wirtshaus bestand damals aus zwei langen und niedrigen rechteckigen Sälen, von denen der eine sein Licht von der Place de la Sorbonne, der andere von der Rue Neuve-de-Richelieu empfing; alle beide waren mit Tischen eingerichtet, die aus irgendeinem Klosterrefektorium zu stammen schienen, denn ihre Länge hatte etwas Mönchisches an sich, und auf den Gedecken lagen die Servietten der Abonnenten, die in numerierten Ringen aus billigem Metall steckten. Flicoteaux I wechselte seine Tischtücher nur alle Sonntage, aber Flicoteaux II hat sie, wie man sagt, zweimal in der Woche gewechselt, seit die Konkurrenz seine Dynastie bedroht hat. Dieses Restaurant ist ein Arbeitsraum mit den dazugehörigen Werkzeugen, und nicht ein Festsaal mit seiner Eleganz und seinen Vergnügungen; jeder geht schnell wieder hinaus. Alles ist in schneller Bewegung. Die Kellner eilen, ohne bummeln zu können, hin und her, sie sind alle beschäftigt, alle notwendig. Die Gerichte bieten wenig Abwechslung. Es gibt dort ewig Kartoffeln, und wenn es in ganz Irland keine Kartoffeln gäbe, und wenn sie in aller Welt fehlten, fände man sie bei Flicoteaux. Sie werden dort seit dreißig Jahren in dem blonden Ton, den Tizian so geliebt hat, auf den Tisch gestellt, sind mit gehackten Kräutern überstreut und genießen ein Vorrecht, um das sie die Frauen beneiden könnten; so wie man sie im Jahre 1814 gesehen hat, findet man sie im Jahre l840 wieder. Hammelkoteletts oder Beefsteaks sind auf der Karte dieses Wirtshauses, was bei Véry Birkhähne oder Stör sind, nämlich außerordentliche Gerichte, die man schon vormittags bestellen muß. Das Ochsenfleisch stammt meistens von der weiblichen Linie der Familie, und der Sohn der Familie ist dort unter allen möglichen Verkleidungen zu treffen. Wenn die Merlane und die Makrelen zu den Küsten gekommen sind, sind sie auch bei Flicoteaux in Mengen zu treffen. Alles richtet sich dort nach den Launen der Jahreszeiten in Frankreich und nach den wechselnden Erträgnissen der Landwirtschaft. Man kann dort Dinge lernen, von denen die Reichen, die Müßiggänger, die
Weitere Kostenlose Bücher