Verlorene Liebe
erwartet. »Dann kann ich es mir nur so erklären, daß man Jerald provoziert hat.«
»Schon möglich.« Der Rektor hüstelte wieder. »Obwohl die Schwere des Vorfalls nicht geduldet werden kann, sind wir dennoch gewillt, Jeralds Version zu hören, bevor wir irgendeine Disziplinarmaßnahme verhängen. Ich kann Ihnen versichern, Senator, daß wir nicht leichtfertig eine Suspendierung aussprechen.«
»Wo liegt denn dann das Problem?«
»Jerald weigert sich, eine Erklärung abzugeben.«
Hayden stöhnte leise. Er bezahlte zigtausend Dollar im Jahr für Jeralds Erziehung und Ausbildung, und dieser Mann war noch nicht einmal in der Lage, von einem Oberschüler eine Erklärung zu bekommen. »Wenn Sie uns bitte ein paar Minuten allein lassen würden, Rektor.«
»Selbstverständlich.« Wight erhob sich und schien froh zu sein, möglichst viel Distanz zu diesem kalt dreinblickenden Senatorensohn schaffen zu können.
»Rektor!« Haydens befehlsgewohnte Stimme ließ ihn an der Tür stehen bleiben. »Ich darf doch in diesem Fall auf Ihre Diskretion rechnen, oder?«
Wight wußte, wie viel die Haydens in den letzten Jahren der Schule gespendet hatten. Und ihm war auch nicht unbekannt, wie leicht ein dunkler Fleck im Privatleben die politische Karriere eines Mannes vernichten konnte. »Schulprobleme sind bei uns immer schon schulintern geregelt worden, Senator.«
Als Wight das Zimmer verlassen hatte, erhob sich Hayden und stellte sich vor seinen Sohn – eine Geste, die seine Autorität erhöhte und die er nicht erst lange hatte einstudieren müssen, weil sie angeboren war. »Also gut, Jerald. Ich möchte jetzt deine Version des Vorfalls hören.«
Die Hände des Jungen lagen auf den Oberschenkeln, wie man es ihm beigebracht hatte. Er blickte zu seinem Vater auf und sah in ihm mehr als nur einen großen, tatkräftigen und gut aussehenden Mann – nämlich einen König, der ein blutiges Schwert in der Hand hielt und auf dessen Schultern die Gerechtigkeit ruhte. »Warum hast du ihm nicht gesagt, er soll sich zum Teufel scheren?« fragte Jerald allen Ernstes.
Hayden konnte ihn nur anstarren. Er wäre kaum weniger schockiert gewesen, wenn sein Sohn ihm ins Gesicht geschlagen hätte. »Wie bitte?«
»Es geht ihn doch einen feuchten Kehricht an, was wir tun oder lassen«, erklärte Jerald wie selbstverständlich. »Er ist doch bloß ein fettes Wiesel, das hinter einem Schreibtisch hockt und sich unheimlich wichtig vorkommt. Dabei hat er nicht die geringste Ahnung von dem, was wirklich in dieser Welt zählt. Wight ist doch bloß eine unbedeutende Kreatur.«
Der Junge klang, als würde er lediglich mit ihm plaudern, und sein Lächeln war so echt, daß Hayden es einfach nicht fassen konnte. »Wight ist der Rektor dieser Anstalt, und solange du hier zur Schule gehst, bist du ihm Respekt schuldig.«
Solange er hier zur Schule ging – das war doch nur noch einen Monat. Wenn sein Vater verlangte, daß er die paar Wochen noch warten sollte, ehe er Wight in den Arsch treten durfte, würde er sich eben solange in Geduld üben. »Ja, Sir.«
Erleichtert nickte Hayden. Der Junge stand sichtlich unter Streß, mußte womöglich erst noch den Schock verdauen. Es war ihm nicht angenehm, Jerald jetzt weiter zu bedrängen, aber leider mußte er von ihm einige Antworten erhalten. »Berichte mir von der Auseinandersetzung mit diesem Lithgow.«
»Er hat mich beleidigt.«
»So etwas habe ich mir schon gedacht.« Für Hayden war die Welt wieder in Ordnung. Heranwachsende besaßen oft zuviel überschüssige Energie, die sie oft in Balgereien loswerden mußten. »Ich gehe davon aus, daß er angefangen hat.«
»Er hat mich die ganze Zeit provoziert, dieser Idiot.« Jerald rutschte nervös auf seinem Platz hin und her, riß sich aber sofort zusammen. Kontrolle war wichtig. Sein Vater verlangte von ihm Kontrolle. »Ich habe ihn gewarnt und ihm gesagt, er soll mich in Ruhe lassen, was eigentlich ziemlich fair von mir war.« Der Junge lächelte seinen Vater an. Aus einem Grund, den er nicht genau definieren konnte, fing Haydens Blut an, in den Adern zu gefrieren. »Er sagte, wenn ich noch keine Verabredung zum Schulball hätte, könne er mir seine Cousine mit dem Klumpfuß vermitteln. In dem Moment habe ich rot gesehen und hätte ihn am liebsten umgebracht. Ich wollte ihm wirklich das Gesicht einschlagen.«
Hayden hätte gerne geglaubt, hier nur mit dem Zorn eines Teenagers konfrontiert zu sein, der in seiner Erregung alle möglichen Drohungen
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