Verlorene Liebe
eingehängt.«
Als er das Tuch herunternahm, war sein Gesicht grau. »Ich dachte, sie habe mir nur etwas vorgemacht. Die ganze Zeit habe ich mir einzureden versucht, daß Roxanne sich mit mir einen Spaß erlaubt hatte. Aber die Schreie wollten nicht aus meinem Kopf. Wieder und wieder hörte ich, wie sie kreischte und den Unbekannten anflehte, ihr nicht weh zu tun. Und die Stimme des anderen, der sagte, sie wolle doch, daß er ihr Schmerzen zufüge, und ein solches Erlebnis würde sie nie wieder haben. Ich glaube, er hat auch noch geäußert, sie sehne sich doch nach Schmerzen, aber da bin ich mir nicht sicher. Es ging alles so schnell. Tut mir leid.«
Er erhob sich und ging zum Wasserkühler. Dort füllte er einen Pappbecher, leerte ihn auf einen Zug und hielt ihn dann wieder unter den Kran. »Ich wußte wirklich nicht, was ich tun sollte. Die ganze Zeit saß ich nur da, während in meinem Kopf die Gedanken durcheinanderpurzelten. Nach einer Weile habe ich mich wieder an die Arbeit gemacht, weil ich hoffte, darüber alles zu vergessen. Wie ich vorhin schon erwähnte, war ich mir nicht sicher, ob Roxanne mir nur einen Streich gespielt hatte. Aber es hatte für einen dummen Spaß viel zu ernst geklungen.«
Er leerte den Becher. »Je länger ich dasaß, desto weniger kam mir das Ganze wie ein Witz vor. Also habe ich mich schließlich aufgerafft, bei Fantasy angerufen und durchgegeben, daß Roxanne wohl in Schwierigkeiten stecke, daß ich sogar den Eindruck gehabt hätte, jemand versuche, sie zu ermorden. Dann habe ich aufgelegt und mich wieder den diversen Anträgen und Erklärungen gewidmet. Was hätte ich auch sonst tun können?« Sein Blick flog hastig zwischen Ed und Ben hin und her, ohne auch nur für einen Moment einen von den beiden direkt anzusehen. »Die ganze Zeit habe ich gehofft, Roxanne würde mich anrufen und mir sagen, alles sei okay und nur ein Spaß gewesen. Aber der Anruf kam natürlich nie.«
»Ist Ihnen irgend etwas an der fremden Stimme aufgefallen, irgendeine Besonderheit?« Ed bemerkte, daß der Steuerberater schwitzte. »Ein Akzent, ein eigentümlicher Tonfall oder eine merkwürdige Betonung gewisser Worte.«
»Nein, es war eine ganz normale Stimme. Ich habe sie kaum richtig verstehen können, weil Roxanne so laut gekreischt hat. Hören Sie, ich weiß nicht einmal, wie Roxanne ausgesehen hat, und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen.
Seien wir doch mal ehrlich: Sie war für mich nicht mehr als eine, na sagen wir, eine Angestellte in einem Supermarkt. Ich habe dreimal in der Woche ihre Dienste in Anspruch genommen, um mich von der Arbeit abzulenken.« Es schien ihn deutlich zu beruhigen, so viel Distanz zwischen sich und ihr schaffen zu können. Immerhin war er nur ein Durchschnittsmensch, sagte er sich, eine grundehrliche Haut – na ja, bis zu einem gewissen Grad. Niemand verlangte von einem Steuerberater übertriebene Ehrlichkeit. »Ich nehme an, ihr Freund hat sie aufgesucht, weil er wegen dieser Telefonate eifersüchtig war. Ja, genau das denke ich.«
»Hat Sie denn einen Namen genannt?« fragte Ben.
»Nein, nur meinen. Sie hat Lawrence geschrien. Bitte, meine Herren, mehr kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich habe alles getan, was ich konnte. Und eigentlich war ich gar nicht verpflichtet, bei Fantasy anzurufen.« Sein Tonfall änderte sich in dem Grad, in dem seine Selbstgefälligkeit zurückkehrte. »Ich hätte mich gar nicht in die Sache hineinziehen lassen brauchen.«
»Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.« Ben wuchtete sich aus dem Sessel. »Sie müssen zur Wache kommen und Ihre Aussagen unterzeichnen.«
»Detective, wenn ich mich vor morgen Mitternacht von diesem Schreibtisch entferne, bin ich für ein Dutzend Strafbefehle verantwortlich.«
»Früh gemachter Bescheid hat noch nie gereut«, gab der Sittich zum besten.
»Dann suchen Sie uns doch am sechzehnten morgens auf. Und fragen Sie nach mir oder Detective Paris. Wir tun unser Möglichstes, Ihren Namen aus der Sache herauszuhalten.«
»Vielen Dank. Sie können hier hinaus.« Er zeigte auf eine Seitentür und beugte sich dann über seine Rechenmaschine. Soweit es ihn betraf, hatte er seine Pflicht als Staatsbürger mehr als erfüllt.
»Ist es schon zu spät, noch eine Verlängerung zu beantragen?« erkundigte sich Ben auf dem Weg nach draußen.
»Dafür ist es nie zu spät.« Markowitz’ Finger flogen schon über die Tasten.
9. Kapitel
Grace war sich nicht sicher, warum sie Eds Rat angenommen hatte
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