Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
fand. Der starre Blick der Toten war sehr lebendig.
Kornblumenblau.
Er sprach zu ihr: hilf mir. Finde den jenigen, der mir das angetan hat!
Dahinter verblasste ihr zweiter Gedanke zusehends. Um 16 Uhr hatte sie die Verabredung mit Reto Winterhalter. Wenn sie dann wieder in der Klinik sein würde. Sie stellte sich vor, wie er in seinem Saab vor der Klinik wartete. Er würde schon in Fahrtrichtung parken, um so den neugierigen Blicken der Insassen zu entgehen. Ein flüchtiges, kleines Glücksgefühl bemächtigte sich ihrer Magengegend. Doch sofort war da wieder der Blick des Mädchens. Als wollte sie ihr sagen, dass sie Vorrang vor ihrem privatem Amüsement hatte.
Die Fahrt nach Plauen verlief ohne große Ereignisse und ohne ein weiteres Wort des Polizisten. Pütz sah die regennasse Straße an sich vorbeiziehen. Beinahe unbemerkt fing sie an, die Begrenzungspfähle zu zählen. Als sie es schließlich doch bemerkte, erschrak sie.
Mutest du dir zu viel zu?
Du bist hier zur Reha und nicht, um der lokalen Polizei auf die Sprünge zu helfen. Schließlich redete sie sich damit heraus, dass ihr ja alle Optionen offen stünden. Sie konnte ja jederzeit die Reißleine ziehen. Ihre gesundheitliche Situation wäre der Polizei gegenüber noch nicht einmal eine Ausrede.
Doch gegenüber Jolanka Ciczek war es eine. Das spürte sie genau. Carola Pütz kannte nicht einmal ihren Namen. Für sie war sie nur die Tote im Wasser. Ihre Bittstellerin. Kornblumenblau.
Je näher sie der Stadt kamen, desto unwohler fühlte sie sich.
*
Cheb
Ihre Mutter war wütend geworden. Sehr wütend. Eliska musste ohne etwas zu essen, ins Bett gehen. Leise hatte sie angefangen, zu schluchzen. Erst einmal hatte ihre Mutter sie ohne Abendessen ins Bett geschickt. Als sie vor Weihnachten mit ihrer Freundin Barbora die selbst gebackenen Weihnachtsplätzchen aufgegessen hatte.
Sie hatten sich nichts dabei gedacht. Beim Spielen mit ihren Puppen hatten sie erst jeder eines der Plätzchen genommen, um ihre Puppen damit zu füttern. Doch später war dann die Schachtel mit den Plätzchen leer gewesen. Als ihre Mutter nach Hause kam, sah sie sofort, was passiert war. Sie schimpfte fürchterlich und Barbora musste sofort gehen. Sie durfte Eliska auch bis nach Weihnachten nicht mehr besuchen.
„Aber Mama, wir backen einfach neue Plätzchen, das macht doch solchen Spaß“, hatte sie in ihrer kindlichen Naivität gesagt.
Ihre Mutter wurde darüber noch wütender. „Spaß? Ja es macht Spaß. Wenn man das Geld hat, um sich Mehl, Zucker, Mandeln und all die anderen Zutaten zu kaufen. Hast Du das Geld dafür?“
Eliska hatte die Augen niedergeschlagen und gesagt: „Nein Mama. Aber ich kann dir ja dabei helfen, dass Du das Geld dafür bekommst.“
Ihre Mutter hatte sie daraufhin lange schweigend angeschaut. Das war jetzt ein Jahr her.
Zum Weihnachtsfest gab es trotzdem wieder Plätzchen, und Eliska wusste es zu schätzen, dass sie sogar nach Weihnachten ein kleines Säckchen zu ihrer Freundin Barbora bringen durfte.
Seitdem war ein Jahr vergangen. Mutter hatte ihre Arbeit in einer Näherei verloren. Der Familie ging es finanziell lange Zeit nicht gut. Ihre große Schwester Tereza und ihr Bruder Matej gingen zwar noch zur Schule, doch sahen ihre Chancen, danach eine Lehrstelle zu erhalten, nicht rosig aus.
Keiner gab den Roma, oder den ‚Schwarzen‘ , wie man sie eher nannte, eine Arbeit. Tereza musste zusehen, wie ihre Geschwister jeden Tag, wenn es dunkel wurde, mit traurigen Gesichtern aus dem Haus schlichen. Erst spät abends, kamen sie wieder heim. Eliska war dann meist schon im Bett. Einmal war sie durch ein Getuschel in der Küche aufgewacht und hatte sich hinter dem Vorhang versteckt und gelauscht. Sie versuchte, kein Geräusch zu machen.
„Wir haben alles versucht, aber heute war kein guter Tag“, sagte er zu seiner Mutter. Sie saßen zu dritt am Küchentisch.
„Kein guter Tag? Kein guter Tag? Soll ich das unserem Vermieter sagen, wenn er kommt und die Hand aufhält? Es tut mir leid, wir hatten leider keinen guten Monat! Daher haben wir kein Geld für die Miete. Wie lange wohnen wir dann noch hier? Was glaubt ihr?“
Matej und Tereza hatten nur traurig geschaut und waren dann aufgestanden, um sich zu waschen.
Ihre Mutter hielt Matej am Arm fest. „Wenn ich herausfinde, dass ihr das Geld heimlich behaltet, um euch Süßigkeiten zu kaufen, dann gnade euch Gott!“
Matej schaute seiner Mutter in die
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