Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
nachdem sie ihre Augen schloss, sah sie das Bild des toten Mädchens vor sich.
Wasser. Nasses Haar. Tote Augen.
Für sie. Du tust es für sie.
Sie schlief ein und verpasste ihr e Untersuchung. Erst von einem energischen Klopfen an der Türe wachte sie auf. Ein Pfleger stand vor ihr, als sie verschlafen die Türe öffnete.
„Hallo, da sind Sie ja, Frau Doktor. Wir hatten schon Sorge um Sie, weil Sie nicht zur Untersuchung erschienen sind. Geht es Ihnen gut.“
Sie rieb sich die Augen.
„Ja, mir geht es gut. Entschuldigen Sie bitte.“
Der Pfleger schaute sie noch immer besorgt an.
„Professor Wielpütz schickte mich , um nachzusehen.“
Carola Pütz strich sich verlegen die Haare aus der Stirn.
„Bitte sagen Sie ihm, es täte mir leid. Ich bin auf dem Bett eingeschlafen“, sagte sie.
Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass sie über eine Stunde geschlafen hatte. Die Uhr zeigte Viertel nach elf an.
„Sie können den Termin am Nachmittag nachholen, obwohl das Ergebnis dann verfälscht ist.“
Sie überlegte, ob sie dem Pfleger von ihrem Ausflug in die Gerichtsmedizin berichten sollte. Verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Der würde das brühwarm weitergeben. Und d ie Mediziner würden ihr vermutlich Stubenarrest verordnen.
Keine Aufregung!
Absolute Ruhe!
Frau Doktor Pütz, ich appelliere an ihren Verstand!
Sie hörte die väterliche Stimme vom Professor beinahe an ihrem Ohr.
„Ja, das ist sehr nett von Ihnen. Ich werde beim nächsten Mal nicht einschlafen. Versprochen!“
Sie schob die Türe ein Stück zu, doch der Pfleger blieb stehen. „Was darf ich den Ärzten nun sagen?“
Da er wusste, dass sie auch Medizinerin war, hielt er sich wohl mit gut gemeinten Ratschlägen oder kleinen Drohungen zurück.
„Sagen Sie den Kollegen, ich würde gleich einen langen Spaziergang machen und morgen stünde ich Ihnen wieder zur Verfügung“, sagte sie mit einem gewissen Nachdruck in der Stimme.
Der Pfleger bemerkte endlich, dass seine Anwesenheit nun nicht mehr gewünscht war, nickte, und ging mit einem höflichen Gruß den Gang hinunter.
Carola Pütz schloss leise die Türe. Es war ihr peinlich, eingeschlafen zu sein.
Sie drückte auf den Lichtschalter, denn draußen war es mittlerweile sehr dunkel geworden. Es sah nach einem Gewitter aus.
Etwas unschlüssig blieb sie am Fenster stehen.
In einer dreiviertel Stunde würde sie die Klinik verlassen. Dann war Essenszeit. Alle Klinikinsassen würden auf den Beinen sein.
Sicher würde es auffallen, wenn ein Polizeiwagen sie vor dem Eingang abholte. Aber das Risiko, aufzufallen, musste sie nun eingehen.
*
Plauen
Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe des BMW. Wie abgesprochen, hatte ein Auto sie um zwölf Uhr abgeholt. Ein sehr einsilbiger Beamter in einem älteren 5er BMW stand schon um fünf Minuten vor der Zeit in der Einfahrt. Carola Pütz hatte hinter der Eingangstüre gewartet. Der Mittagsverkehr in Richtung Essenssaal war in vollem Gange. Doch sie ignorierte ihn einfach.
Der Beamte schaute mehrmals auf seine Armbanduhr, für sie ein Zeichen, dass er zu einer bestimmten Zeit an diesem Ort sein sollte. Sie öffnete die Türe und ging mit schnellen Schritten zu dem BMW herüber. Kein gemütliches Wetter, dachte sie, als sie die Beifahrertüre öffnete. Es regnete in Strömen.
„Doktor Pütz?“, fragte der Mann am Steuer. Sie wunderte sich nicht weiter darüber, dass er keine Fragepronomina verwendete. Hier gingen die Uhren etwas anders und vor allem blieb dabei scheinbar die Höflichkeit auf der Strecke.
„Ja, die bin ich. Sehr angenehm“, sagte sie. Als Antwort erhielt sie nur ein missmutiges Knurren, was eher aus dem Maul eines Hundes hätte stammen können, als aus dem Mund eines Polizisten.
„Ich fahre Sie direkt in die Gerichtsmedizin. Anweisung von Kommissar Streiter“, sagte er noch.
Elf Worte. Immerhin. Es kann ja noch besser werden, dachte sie. Pütz rutschte auf ihrem Sitz in eine bequeme Position und wartete auf die Dinge, die nun auf sie zukommen würden. Ob der Wortkarge, dessen Namen sie nicht verstanden hatte, weil er im Geknurre untergegangen war, nun mit ihr sprach oder nicht, war ihr einerlei.
Es beschäftigten sie nur zwei Gedanken. Wie erginge es ihr, wenn sie die Leiche der jungen Frau vor sich liegen sah? Dieses Mädchen hatte eine Geschichte. Diese Geschichte teilte sie mit Carola Pütz. Dem konnte sie sich nicht mehr entziehen. Sie waren dabei, als man sie
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