Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
nicht aus der Haut zu fahren. An den Äußerungen dieses Mannes konnte man deutlich erkennen, welchen Stellenwert dieses tote Kind für ihn hatte.
Keinen.
„Der wird nicht erfreut sein, wenn ich ihn in seiner Pause störe“, maulte der Beamte.
„Wissen Sie, wir können das hier auch ganz einfach regeln. Sie erklären ihrem lieben Kommissar Streiter dann, warum die hochverehrte Carola Pütz wieder zurück in die Klinik gefahren ist. Denn das wird sie tun, wenn sie jetzt nicht gleich hier jemanden zur Hand hat, der ihr assistiert. Es ist ihre Entscheidung!“
Sie zog ihre Augenbrauen so weit hoch, dass sie unter ihren blonden Haarsträhnen untertauchten und legte ihren Kopf kampfeslustig ein wenig schief.
„Geben Sie mir zehn Minuten“, brummte der Beamte missmutig und verließ eilig den Raum. Pütz sah, wie sich die Türe langsam hinter ihm ins Schloss drückte.
Bei grenzübergreifender Kriminalität sind die Behörden einfach hoffnungslos überfordert. So oder so ähnlich hatte sich doch Winterhalter ausgedrückt. Oder die Behörden waren einfach nicht interessiert. Es kam ihr so vor, als wäre es dem Kerl völlig egal, dass dieses Kind hier in Deutschland zu Tode gekommen war. Ihm reichte scheinbar die Tatsache, dass sie als Prostituierte arbeitete, um sie als Menschen dritter Klasse einzustufen.
Pütz überlegte. Je nachdem, was ihr für Gerätschaften zur Verfügung standen, konnte sie eine intensive oder auch nur eine oberflächliche Obduktion durchführen.
Sie schaute in das puppenhafte wächserne Gesicht der Toten.
Meine Kleine, egal was ich auch herausfinden werde, ich verspreche dir, derjenige wird bes traft, der Dir das angetan hat.
Wie zur Bestätigung klopfte sie mit Zeige - und Mittelfinger zweimal auf den fahrbaren, kleinen Sektionstisch, der neben ihr stand. Sie öffnete die Schublade und schaute hinein. Darin befand sich nicht das, was sie erwartete. Mit hastigem Blick schaute sie sich weiter im Raum um. In einer Ecke ging eine schmale Türe in einen der Nebenräume. Dort würde sie sicher einen Schrank mit OP-Kleidung finden. Sie schob die Türe auf und sah direkt den erwarteten Schrank zu ihrer Linken stehen.
Wenigstens etwas ist hier so, wie es gehört.
Als Erstes suchte sie sich ein paar Handschuhe und zog sich einen hellgrünen, sterilen OP-Mantel zum Einmalgebrauch über. Sie streifte ihre Schuhe von den Füßen, um besser in die Hose schlüpfen zu können. In einer Schublade fand sie sogar ein paar antistatische Clogs, die ihr passten.
Sogar eine OP-Haube fand sich noch. Eitel wie sie war, prüfte sie deren Sitz noch kurz im Spiegel, der an der Wand hing, bevor sie die Türe zum Obduktionssaal langsam aufschob. Eigentlich widerstrebte ihr, was nun vor ihr lag. Mit der Hand an der Türklinke stand sie da und schaute zu Jolanka herüber.
Als sie plötzlich neben sich eine dunkle Stimme vernahm, fuhr sie zusammen.
„Da sind Sie ja. Ich dachte schon, Sie hätten Ihre Drohung wahr gemacht und wären wieder in die Klinik entschwunden:“
Carola Pütz spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Gegen einen der Sektionstische gelehnt, stand ein Mann.
„Wer sind Sie denn?“, fragte Pütz, als sie sich wieder gesammelt hatte.
„Derjenige, den Sie vom Mittagstisch zurück in diesen kalten Raum zitiert haben“, antwortete der Mann und fuhr sich mit dem Nagel des Zeigefingers zwischen die Schneidezähne. Anschließend betrachtete er interessiert das, was er dort zutage gefördert hatte. Wie aus Gewohnheit lutschte er seinen Finger ab.
Carola Pütz wurde klar, dass sie den vermissten Assistenten vor sich hatte.
„Wie gut, dass Sie auch endlich hier sind. Mein Name ist Doktor Carola Pütz. Und wie heißen Sie?“, fragte sie.
„Mein Name ist Daniel Giegrich, ich bin der Assistent der Gerichtsmedizin.“
Giegrich wischte sich den abgelutschten Zeigefinger an seiner OP-Kleidung ab. Carola Pütz nahm das mit einem ungläubigen Blick wahr.
„Sehr schön, dann können wir ja mit der Sektion beginnen. Gibt es hier so etwas wie ein Diktiergerät?“
„Diktiergerät? Wir haben ein Mikrofon, was wir dort oben in der Halterung anbringen. Nebenan steht ein Kassettenrekorder, der dann alles aufzeichnet. Es tut mir leid, wir sind hier nicht so modern ausgestattet.“ Mit einer kurzen Handbewegung deutete er auf eine Halterung über dem Sektionstisch, an dem etwas eingeklinkt werden konnte. Ihr Blick folgte seiner rechten Hand.
Pütz war dem Verzweifeln nahe. Ein Assistent, der
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