Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
Augen. Hätte Eliska sein Gesicht sehen können, dann hätte sie seine Tränen gesehen. Er befreite sich aus dem Griff seiner Mutter und stürmte aus dem Zimmer.
Ein anderes Mal stand sie auch wieder hinter dem Vorhang, um zu lauschen. Diesmal war die Stimmung in der Küche gelöster. Auf dem Tisch lagen einige Scheine. Mutter scherzte sogar.
„Wenn ihr so weiter macht, dann haben wir bald genug Geld für die nächsten beiden Monate zusammen.“
Ihre Geschwister konnten ihre Freude nicht teilen. Etwas schien sie zu bedrücken. Matej fasste sich ein Herz. Eliska konnte erkennen, wie er ihr in die Augen schaute.
„Mama, ist es denn wirklich genug? Muss die Kleine jetzt nicht auch mit uns gehen?“
Ihre Mutter hatte keck den Kopf nach hinten geworfen.
„Das kann ich euch nicht versprechen. Gebt euch Mühe!“
Eliska war mit schnellen Schrittchen in ihr Bett geflüchtet, als ihre Geschwister aufstanden. Sie konnte überhaupt nicht verstehen, was sie dort sprachen. Sie versuchte, zu ergründen, um was es ging. Doch es gelang ihr nicht. Tereza legte sich kurz drauf in ihr Bett neben sie. Die Geschwister schliefen zu dritt in einem Zimmer, was nur ein kleines Fenster hatte. Matej und Tereza schliefen in einem Etagenbett. Oben Matej, unten ihre Schwester. Nachts war es kalt in dem Raum, ohne Heizung. Im Winter, wenn es draußen eiskalt war, schliefen sie oft in ihrer Kleidung. Im Schlafsack und mit vielen Decken.
Nach einer Weile vernahm Eliska ein leises Wimmern.
„Tereza, nicht weinen“, hörte sie ihren Bruder flüstern, „Wir schaffen das. Die Kleine muss nicht auch das erleben, was wir erleben. Sei ruhig, bitte.“
Zwei Tage später hatte ihre Mutter sie nach der Schule an die Hand genommen. Sie waren zur Bushaltestelle gegangen und waren mit dem Bus weit aus der Stadt heraus gefahren. Nachdem sie noch eine Weile zu Fuß gegangen waren, standen sie vor einem großen Tor. Rechts und links standen zwei fürchterlich dreinschauende Monster.
„Das sind asiatische Drachen“, hatte ihre Mutter ihr erklärt. Was die beiden bunten Monster für sie auch nicht weniger bedrohlich gemacht hatte.
Bald hatten sie einige Stände erreicht, an denen herrlich bunte Kleider auf einem drehbaren Ständer hingen. Die Drachen waren sofort vergessen. Eliska fand es herrlich, diese Ständer zu drehen. So etwas hatte sie vorher noch nie gesehen. Wie herrlich das aussah! All die bunten Kleider, die sich drehten.
Erst als ihre Mutter sie zurechtwies, hörte sie auf, die Ständer immer wieder anzuschieben. Ihre Mutter hielt schon ein Kleid in der Hand.
„Hier, das würde dir toll stehen. Schau mal“, sagte sie vergnügt.
„Mama, haben wir denn genug Geld für so ein Kleid?“, fragte Eliska.
„Papperlapapp, sicher haben wir genug Geld dafür“, hatte sie vergnügt geantwortet und ihr abmessend das Kleid vor die Brust gehalten.
Doch hatte Eliska schon auf einem anderen Ständer ein Kleid gesehen, was ihr noch besser gefiel als das, was ihre Mutter ausgewählt hatte. Sie lief die paar Schritte zu dem Ständer, zog das Kleid mit dem Bügel zwischen den anderen hervor und präsentierte es stolz ihrer Mutter.
„Hier das, das gefällt mir aber noch viel besser“, sagte sie und ihre Augen strahlten. Ihre Mutter nahm das Kleid in die Hand und schaute als erstes auf den Preis. Dann zog sie ihre Augenbrauen zusammen.
„Das können wir uns nicht leisten, Eliska. Das hier ist doch auch schön“, sagte sie und hielt dem Kind wieder das Kleid hin, was sie ausgesucht hatte. Ein geblümtes Kleid. Rote Blümchen. Mit weißen Rüschen an den Armen.
„Aber das andre gefällt mir besser“, maulte Eliska und wagte das erste Mal , ihrer Mutter zu wiedersprechen.
„Das ist zu teuer. Wir kaufen jetzt das Kleid mit dem Blümchen“, sagte sie und wandte sich an den Vietnamesen, „Kann sie das Kleid anprobieren?“
Er nickte nur und machte eine Geste zu einem dreckigen Vorhang hin. Eliska probierte hinter dem Vorhang das Kleid an. Dabei achtete sie darauf, den Vorhang nicht zu berühren.
„Ich bin fertig Mama“, sagte sie.
Ihre Mutter zog den Vorhang beiseite und strahlte sie an, als sie ihre Tochter in dem Kleid vor sich stehen sah.
„Wie eine kleine Prinzessin. Sie werden dich lieben.“
„Wer denn?“, fragte Eliska neugierig und war glücklich darüber, ihrer Mutter eine Freude machen zu können. Auch wenn ihr das andre Kleid besser gefallen hatte.
„Das erzählte ich dir später, meine Kleine!“
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