Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
ihnen verloren zu haben schien.
Aber selbst wenn diese tagelange Flaute nicht ihr Fortkommen behindert hätte, wäre eine Rückkehr zum Festland ein schwieriges Unterfangen geworden. Barat vermochte nämlich beim besten Willen nicht mehr einzuschätzen, in welcher Richtung und wie weit entfernt die Küste von ihrer jetzigen Position aus lag. Sein eigentlich sehr zuverlässiger Orientierungssinn hatte ihn nach mehreren Tagen ohne Nahrung und mit nur wenig Flüssigkeit weitgehend im Stich gelassen, und er war am Ende seiner Kräfte. Rai ging es noch schlechter. Er wandelte seit der Nacht, als ihn das eigentümliche Wurfgeschoss des Zarg in den Rücken getroffen hatte, irgendwo zwischen dieser Welt und Xelos’ Feuer. Es schien recht offensichtlich, dass die Waffe vergiftet gewesen war, denn eine tiefe Wunde hatte sie eigentlich nicht hinterlassen. Aber bereits am ersten Morgen auf See, als das Licht endlich ausgereicht hatte, um die Eintrittsstelle des Wurfgeschosses eingehender zu untersuchen, war die Wunde von einem zornigen roten Rand umgeben gewesen, der sich in den folgenden Tagen stetig über Rais Rücken ausgebreitet hatte. Barat bezweifelte freilich, dass er selbst mit sauberem Verbandszeug und einer Auswahl Heilkräutern irgendetwas Nutzbringendes für seinen Freund hätte tun können, allerdings war er ohne diese Hilfsmittel vollkommen machtlos. Trotzdem hatte er versucht, die Wunde auszusaugen, wie man es bei den Bissen von Giftschlangen tat, und er wusch die Verletzung jeden Tag mit Meerwasser. Diese Behandlung ließ Rai zwar jedes Mal zusammenzucken, gleichwohl hatte der alte Soldat gehört, dass Salzwasser gut gegen Entzündungen war. Aber all sein Bemühen hatte den jungen Südländer nicht aus seinem fiebrigen Dämmerzustand erwachen lassen, noch hatte es sonst eine erkennbare Wirkung gezeigt, wenn man einmal davon absah, dass Rai immer noch am Leben war. Barat bezweifelte jedoch, dass dies mit seiner Behandlungsmethode zusammenhing, die wohl eher ein Mittel zur Bekämpfung seiner eigenen Verzweiflung darstellte.
»Bist ein zäher Bursche, mein Kleiner«, murmelte Barat vor sich hin, während er Rai die schweißnassen Haare aus der Stirn strich. Dabei fiel sein Blick auf das schwarze Schwert an Rais Seite, auf dem immer noch dessen rechte Hand ruhte. Einmal, eher aus Versehen, hatte er die Klinge bei der Behandlung der Rückenwunde beiseitegestoßen, woraufhin sein Freund unvermittelt begonnen hatte, sich herumzuwälzen und in Barats zerschlissene Kleidung zu krallen. Er war erst zur Ruhe gekommen, als die Waffe wieder in seiner Hand ruhte, wo sie auch seitdem geblieben war.
Barat schüttelte den Kopf. Eine merkwürdige Klinge war das. Bei seinem Kampf gegen die Zarg hatte sich Rai vollkommen verwandelt. Barat hatte schon viele erlesene Schwertkämpfer kennen lernen dürfen, oder zumindest kämpfen sehen, doch alle waren sie den Zarg an Schnelligkeit und Gewandtheit bei Weitem unterlegen. Barat war bereits mehrmals Zeuge geworden, wie ein Zarg es fertig gebracht hatte, einem aus nächster Nähe abgefeuerten Armbrustbolzen auszuweichen. Dies setzte eine Körperbeherrschung voraus, für die ein Menschenleib schlichtweg zu schwerfällig war. Rai allerdings teilte mit diesem unheimlichen schwarzen Stahl Schläge aus, die so schnell waren wie ein Gedanke. Es schien beinahe, als wäre die dunkle Klinge nicht ein bloßes Werkzeug in seiner Hand, sondern eine unmittelbare Verkörperung seines Willens. Aber vielleicht war das Schwert auch von einem eigenständigen Geist erfüllt und Rai eine bloße Marionette? Misstrauisch betrachtete Barat die dunkle Klinge, als läge dort im Schiffsrumpf neben seinem Freund eine schwarze Schlange, die jeden Moment aus ihrer Starre erwachen könnte, um zuzuschnappen.
Als er schließlich nach diesen fruchtlosen Überlegungen eine Weile in stumpfsinniges Brüten verfallen war, drang plötzlich der leise Ruf einer Seemöwe an sein Ohr. Ihr ferner Schrei, der so untrennbar mit Küstengewässern verbunden war, weckte von Neuem Barats Lebensgeister. Angestrengt spähte er in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Tatsächlich schienen sich dort vage einige dunkle Umrisse am Horizont abzuzeichnen. Nur traute er seinen Augen schon seit einigen Tagen nicht mehr über den Weg, denn sie hatten ihn schon mehrmals glauben lassen, etwas auf der endlosen Wasserebene zu erkennen, was sich nach einiger Zeit als bloße Sinnestäuschung entpuppt hatte. Offensichtlich schien sich sein
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