Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
war, der durch den großen, vorgelagerten Felsen vom Meer her nicht auszumachen gewesen war. Der etwa zwei Mannslängen breite Einschnitt in der ansonsten so massiven Felswand wirkte beinahe wie eine Wunde, eine Schneise in dem Bollwerk, das hier die Küstenregion so abweisend machte. Das dunkle Wasser zwischen den scharfkantigen Felsrändern war vollkommen ruhig, sodass es beinahe mit den begrenzenden Wänden zu verschmelzen schien.
Barat überlegte nicht lange und schob das Boot in den beschatteten Felsspalt hinein. Er kletterte zurück an Bord, denn es war nun wesentlich einfacher, ihr Gefährt durch Abstoßen von den Felswänden tiefer in die Klamm hineinzutreiben, und zudem musste er auch dringend seinen erschöpften Beinen ein wenig Ruhe gönnen. Bald schon umfing ihn das endlose Schweigen des sie umgebenden Steins, in dessen Inneres er auf der schmalen Wasserader eingedrungen war. Nachdem er einigen Biegungen gefolgt war, schienen die bedrohlich aufragenden Felsen ein wenig zurückzuweichen. Ein herabgestürzter Findling zwang Barat, sich zur gegenüberliegenden Felswand hinüberzustoßen, um dieses wuchtige Hindernis zu umgehen.
Als er sich gerade mühevoll an dem Findling vorbeigearbeitet hatte, hielt er gebannt inne. Unmittelbar hinter dem Steinbrocken endete die Klamm in einer kleinen Bucht, die Teil eines schmalen Tales war, das sich zwischen die schroffen Felshänge schmiegte, als wolle es sich dort verbergen. Die steilen Seitenwände standen wenig mehr als hundert Schritt auseinander, während die gesamte Ausdehnung des Tals in Längsrichtung durch ein breites Nebelband verschleiert wurde. Der Nebel ruhte sanft auf den Kronen eines üppigen Waldes, aus dessen Innerem befremdliche Geräusche an Barats Ohren drangen. Die grüne Wand aus Bäumen wurde nur durch einen sachte plätschernden Fluss unterbrochen. Wo der Flusslauf den Schutz des dichten Blätterdachs verließ und ans Tageslicht kam, hatte das Wasser Unmengen von Kies und Geröll abgeladen, bevor es sich schließlich am Ende des Tals in die kristallklare Bucht ergoss. Diese war durch die schmale Klamm, die Barat eben passiert hatte, mit dem Meer verbunden. Das Tal strahlte einen tiefen Frieden aus, jedoch auch eine Lebendigkeit, die beinahe beängstigend war.
Es kostete Barat ein wenig Überwindung, den Findling in seinem Rücken zu verlassen und die kleine Bucht zu überqueren. Mit den Händen rudernd, steuerte er das Boot auf den aus unterschiedlichsten farbenfrohen Kieselsteinen bestehenden Strand in der Nähe des Flusses zu. Sobald das Wasser seicht genug war, sprang er hinein und zog ihr Gefährt mit seiner letzten verbliebenen Kraft auf die Kiesbank. Dann sank er unmittelbar auf alle viere nieder, rollte sich auf den von der Sonne erwärmten Steinen zusammen und schlief ein.
Als der alte Soldat wieder erwachte, klebte seine Zunge am Gaumen, als wäre sie ein ausgetrockneter Putzlumpen. Mit einem Stöhnen versuchte er, sich zu erheben, wobei er feststellen musste, dass es ihm sein Rücken sehr übel nahm, auf Kieselsteine gebettet worden zu sein. Auch seine Beine rächten sich nun für ihre übermäßige Beanspruchung beim Schwimmen, sodass er mit zitternden Knien und schmerzendem Rücken nur sehr langsam in eine aufrechte Position gelangte. Er fühlte sich unglaublich alt. Unsicher watete er einige Schritte in den leise dahingleitenden Fluss hinein, bis das prickelnd kalte Wasser ihm bis zur Hüfte reichte. Ein Schwarm kleiner Fische stieb, überrascht von dem Fremdling, flussaufwärts davon. Ganz langsam ging Barat in die Knie, bis die belebende Kälte des Flusswassers über seinem Kopf zusammenschlug. Gierig sog er das köstlich kühle Nass in seinen ausgetrockneten Mund und ließ es seine Kehle hinabrinnen. Die nagende Leere, die in seinem Magen seit mehreren Tagen herrschte, ließ sich durch Wasser indes nur unzureichend füllen. Er hatte schrecklichen Hunger! Prustend tauchte er wieder auf und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Wo konnte er in diesem verwunschenen Tal etwas zu essen herbekommen? Der Wald sah durchaus danach aus, als könne er einige mehr oder weniger schmackhafte Vierbeiner beherbergen, allerdings machten die dicht stehenden Bäume wiederum nicht den Eindruck, als würden sie Eindringlinge auf der Jagd nach den Waldbewohnern sehr schätzen. Aber was konnten Bäume schon gegen unliebsame Störenfriede unternehmen? Schließlich waren es nur Bäume.
Barat schüttelte über seine abergläubische Furcht
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