Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
das direkt benachbarte Fürstentum Nordantheon in einer Schlacht zu bestehen. Trotz allem zogen die Städte aus dem Bündnis mit Citheon auch einen Vorteil. Da Citheon als mächtigstes Reich des Kontinents über eine schnelle, schlagkräftige Flotte verfügte, konnten dem ohne Heer relativ machtlosen Fendland bislang weder Piraten noch kriegerische Nachbarn ernstliche Unannehmlichkeiten bereiten. Dadurch verbreitete sich unter einigen Bewohnern der Halbinsel die Meinung, dass für Fendland außer dem Sklavenhandel eigentlich keine Bedrohung bestünde und sie deshalb auch keinen Schutz von Citheon benötigten. Dieses offenkundige Missfallen über den Einfluss Citheons auf Fendland wurde vom citheonischen König allerdings nur als zeitweilige Unruhestiftung einiger Querköpfe eingestuft. Und tatsächlich unternahmen die Fendländer bisher nichts, außer zu reden und sich aufzuregen. Sie waren durch das jahrzehntelange süße Leben ohne Kämpfe aus der Übung gekommen und inzwischen im Kriegshandwerk so eingerostet wie ihre Waffen, die als Zierde über den Kaminen hingen.
Ein Relikt aus den kämpferischen Tagen der Stadt Seewaith stellte die legendäre Kriegerschule Ecorim dar, die von Melessen Leonmar, dem ersten König Fendlands, kurz vor seinem Tod gegründet worden war. Wer die Ausbildung in dieser weit über die Landesgrenzen hinaus gerühmten Lehrstätte absolviert hatte, konnte sich zu den besten Schwertfechtern der Ostlande zählen. Deshalb war auch die Seewaither Garde, in die nur aufgenommen wurde, wer mindestens eine Grundausbildung in der Kriegerschule Ecorim erhalten hatte, bei allen Gesetzesbrechern gefürchtet. Im Auftrag des Rates von Seewaith war es diesen Elitekämpfern durch erfolgreich geführte Angriffe auf die Sklavenschiffe sogar gelungen, die verbotenen Geschäfte mit menschlicher Ware erheblich einzuschränken. Aber durch den harten Winter in diesem Jahr und die dadurch ausgelöste Not der ärmeren Bevölkerungsschicht sahen die Ratsmitglieder ihre bisherigen Fortschritte zu Recht in Gefahr.
So tagten im Ratsgebäude der Stadt Seewaith seit dem Morgengrauen die Mitglieder im Rat von Seewaith. Die meisten Räte gehörten dem Adel an. Entweder sie fungierten als direkte Vertreter ihres Standes, weil sie einen erblichen Adelstitel besaßen und somit zum Rundadel zählten, oder aber sie waren durch die Leitung einer Gilde zu einem der niederen Adelstitel gekommen. Der Rat setzte sich daher zusammen aus zwanzig erwählten Vertretern des Rundadels, den Leitern der zwanzig wichtigsten Gilden der Stadt und neun so genannten »freien« Ratsmitgliedern, die aufgrund besonderer Verdienste das Geschick Seewaiths mitbestimmen durften. Die Zahl neunundvierzig, die sich somit ergab, war eine symbolische Zahl, die an das Fehlen eines Führers aller Fendländer erinnern sollte. Denn bei der Einführung des Stadtrates durch Melessen Leonmar vor etwas mehr als hundert Jahren war er als Vorsitzender und König Fendlands in jeder Stadt das fünfzigste Mitglied im Rat gewesen.
Doch diese ruhmreichen Tage waren längst vergangen, und im Rat spielten sich jetzt meist kleinliche Auseinandersetzungen über Macht und Einfluss innerhalb des Rundadels oder zwischen Rundadel und Gildenleitern ab. Die neun »freien« Ratsmitglieder waren oftmals in Abstimmungen, in denen sich die Interessen dieser beiden Parteien gegenüberstanden, das entscheidende Zünglein an der Waage. Ihre Unabhängigkeit erlaubte ihnen, sich ganz nach ihrem eigenen Ermessen für eine Seite zu entscheiden. Trotz Streitigkeiten untereinander waren alle um das Wohlwollen der Bevölkerung bemüht, denn durch ein Aufbegehren des unteren Standes wäre nicht nur der Wohlstand der meisten Adeligen in Gefahr geraten, sondern eine Unruhe in der Stadt hätte auch einen gewaltigen Ansehensverlust gegenüber Riffstadt bedeutet. So zogen sich die Diskussionen über mögliche Lösungen der Probleme, die nach dem Winter auf die Stadt zukamen, nun schon seit fünf Stunden hin. Doch weder waren dem welterfahrenen und umsichtigen Vertreter der Schriftgelehrtengilde noch dem altehrwürdigen Leiter der Versammlung bisher ein Vorschlag gelungen, der die Zustimmung aller Ratsmitglieder gefunden hätte.
Nachdem Freiherr Gernot von Waidenhein, reichster Bürger Seewaiths und Vertreter des Adelsstandes, seine wenig bejubelte Meinung zum Thema Sklavenhandel kundgetan hatte, erhob sich nun ein kräftiger, mittelgroßer Krieger, der sofort die Aufmerksamkeit der gesamten
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