Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
darum, einen seiner Leute loszuschicken, um sämtlichen Minenarbeitern auszurichten, sich auf Geheiß des neuen Herrn des Bergwerks in der großen Eingangshöhle zu versammeln.
Es brauchte einen guten Teil des Vormittags, bis sich endlich annähernd alle Arbeiter vor der Tauschkammer eingefunden hatten. Rai lief unruhig zwischen den Vorratskörben hin und her, während er sich überlegte, was er seinen Mitgefangenen sagen sollte. Er musste ihr Vertrauen gewinnen, sie davon überzeugen, dass er tatsächlich einen Weg in die Freiheit kannte, und die Mutigen unter ihnen dazu bewegen, für die Übrigen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Er hatte nicht einmal eine vage Vorstellung davon, welche rhetorischen Kunstgriffe dafür erforderlich sein würden, denn ihm fehlte schlichtweg die notwendige Gewandtheit im Umgang mit Worten. Deshalb steigerte sich sein Unbehagen auch ins Unermessliche angesichts der ständig wachsenden Zahl an Zuhörern.
Doch Rai war kein Feigling, das hatte er in den letzten Tagen bereits mehrfach bewiesen, also nahm er sich ein Herz und trat abermals vor die murmelnde Schar der Minenarbeiter.
»Wieder spreche ich zu euch«, hob er an, »im Auftrag von Arton, dem neuen Herrn des Bergwerks.« Die Menge verstummte bei diesen Worten. »Ich wollte euch sagen, dass ich einen Weg aus diesem Gefängnis kenne.« Es folgte nicht die geringste Reaktion. »Auf diesem Weg kann ich eine Gruppe von kampffähigen Männern aus der Mine führen. Sind wir erst einmal draußen, dann werden wir uns einer Gruppe von entflohenen Minensklaven anschließen, die sich im Wald versteckt hält. Sie werden für unsere Bewaffnung sorgen. Zusammen müssen wir dann die Gardisten angreifen, die den Förderkorb bewachen, damit wir auch den Rest der Gefangenen aus dem Bergwerk befreien können.« Während er sprach, suchte Rai die ganze Zeit nach irgendeinem Zeichen von Begeisterung oder wenigstens Zustimmung in den Gesichtern der Umstehenden, aber die Sklaven stierten nur stumm zu Boden und mieden jeglichen Blickkontakt. Ulags Schreckensherrschaft hatte sie gelehrt, dass es nicht gut war aufzufallen.
Entmutigt ließ Rai die Schultern sinken und fügte abschließend hinzu: »Dafür brauchen wir Freiwillige.«
Niemand rührte sich. Manche tauschten verstohlene Blicke aus, in den hinteren Reihen wurde geflüstert, aber die Worte waren zu leise für Rais Ohren. Der Dieb hatte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass, nachdem er erfolgreich in das Bergwerk eingedrungen war und sogar Ulag kein Hindernis mehr darstellte, nun sein Plan an der Gleichgültigkeit der Arbeiter zu scheitern drohte. Eigentlich hatte er insgeheim gehofft, die Sklaven würden ihn als Held und Befreier feiern, stattdessen stand er diesem vollkommen erlahmten Haufen gegenüber, den das Gefasel von Freiheit nicht im Mindesten zu kümmern schien. War wirklich niemand bereit, für ein besseres Leben frei von Willkür und Grausamkeit zu kämpfen? Irgendwo in dieser Menge verbarg sich mit Sicherheit der gewissenlose Schuhräuber, der zumindest eine Teilschuld an der lebensbedrohlichen Entzündung von Barats Fußverletzung trug. Auch die Raffer hatten sich möglicherweise unerkannt unter die versammelten Arbeiter gemischt und lauerten nur auf eine Gelegenheit, die augenblicklichen Umwälzungen in der Minenhierarchie zu ihren Gunsten auszuschlachten. Aber wo waren all die redlichen Menschen, die zu Unrecht in diesem Bergverlies festgehalten wurden? Hatte Andobras sie alle zerstört?
Niedergeschlagen sah Rai zu seinem Freund Barat, der daraufhin zu ihm herübergehumpelt kam.
»Ich glaube, denen hat der Rötelstaub das Gehirn verklebt«, raunte Barat seinem Freund zu. »Es wird Zeit, dass wir sie ein bisschen wachrütteln.«
»Ich habe keine Ahnung, wie ich das schaffen soll«, flüsterte Rai verzweifelt zurück. »Man sollte meinen, die Aussicht auf Freiheit wäre vollkommen ausreichend, oder?«
»Lass mich es einmal versuchen«, schlug Barat leise vor.
Rai nickte erleichtert, worauf sich der Veteran der Menge zuwandte. Der alte Soldat wusste, wie viel davon abhing, dass er jetzt die richtigen Worte fand. Aber im Gegensatz zu seinem unerfahrenen Gefährten hatte er begriffen, warum die Arbeiter eine solch irritierende Zurückhaltung übten. Natürlich gab es die Verschlagenen unter ihnen, die hinter jedem von Rais Worten eine verborgene List vermuteten, weil sie selbst nicht in der Lage waren, aufrichtig zu denken oder gar zu handeln. Von dieser Seite würde
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