Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
Henker auch.« Seine Augen wanderten wieder zu Boden. »Aber höre die Geschichte erst zu Ende, bis du dir ein Urteil bildest. Ich arbeitete also weiter für die Silbergilde und war dabei – und das sage ich ohne Stolz – einer der besten meiner Zunft. Ich verdiente eine Menge Geld, führte ein Leben, wie ich es nie zuvor gekannt hatte, und musste dafür nur hin und wieder das Leben eines anderen vorzeitig beenden. Angesichts meiner absoluten Zuverlässigkeit bekam ich auch zunehmend die wirklich schwierigen Fälle.« Er stützte sich mit beiden Ellbogen auf seine Oberschenkel und barg dann sein Gesicht in den Händen.
Kaum hörbar sprach er weiter: »So erhielt ich schließlich den Auftrag, eine Priesterin der Bajula zu töten. Ich kannte sie sogar, denn sie war wunderschön und führte, wo auch immer ihr die Menschen zuhörten, flammende Reden gegen den Sklavenhandel und die Verwicklung einiger Adelshäuser und sogar des Cittempels in dieses schmutzige Geschäft. Dass sie damit einigen mächtigen Leuten ein Dorn im Auge war und diese ihren Tod wünschten, schien nicht verwunderlich. Ich drang also des Nachts in den Tempel ein, wo ich mich in ihrer Kammer versteckte. Als sie sich schließlich zu Bett begab, kam ich aus meinem Versteck, um ihr mein Messer an die Kehle zu setzen. Sie erwachte und blickte mich an. Ich presste meine Hand auf ihren Mund, aber sie versuchte nicht zu schreien. Sie sah mich nur an, als wolle sie sagen: ›Tu, was du tun musst, ich habe keine Furcht.‹ Ich vollendete meine blutige Tat, doch sollte von jener Nacht an nichts mehr sein wie zuvor. Ihre Augen verfolgten mich im Schlaf und auch am hellen Tag. Bei meinem nächsten Auftrag verfehlte ich zum ersten Mal das Ziel. Mein Messer zerbrach an einer Hauswand. Auch die nächsten beiden Male versagte ich. Es war wie ein Fluch – oder ein Segen. Mir wurde klar, dass sich etwas verändert hatte in mir. Ich konnte nicht so weitermachen. Deshalb versuchte ich, die Silbergilde zu verlassen. Sie waren aufgrund meiner jüngsten Misserfolge ohnehin nicht mehr sonderlich gut auf mich zu sprechen, und ich dachte, sie wären froh, mich loszuwerden. Ich hatte immer noch nicht verstanden, was diese so genannte Gilde wirklich darstellte: ein Machtinstrument der Skrupellosen und Wohlhabenden der Stadt, deren oberstes Interesse absolute Verschwiegenheit war. Niemand, der ihr einmal angehört hatte, konnte die Gilde einfach so verlassen. Und besonders nicht zu dieser Zeit, da gerade eine der bislang größten Unternehmungen geplant wurde, die einen der mächtigsten Männer der Stadt zum Ziel hatte.« Kawrin hob den Kopf und ließ seinen Blick über die gerodete Senke schweifen.
»Als ich das Gildenheim verlassen wollte«, sprach der hochgewachsene Fendländer weiter, »wurde ich niedergeschlagen. Ich erwachte wieder im Bauch eines Sklavenschiffs, das in Richtung Andobras unterwegs war. Der einzige Grund, warum sie mich nicht umgebracht haben, war der, dass sie so wenigstens noch einen gewissen Profit aus meinem Verkauf schlagen konnten.« Er wandte sich unvermittelt zu Rai um, der noch immer gebannt jedem seiner Worte lauschte. »Verstehst du nun, weshalb ich mir das Leben nehmen wollte? Die Gefangenschaft in der Mine war eine angemessene Buße für meine vielen schrecklichen Taten, aber die Schuldgefühle für den Mord an der Bajulapriesterin brachten mich schier um den Verstand. Ich konnte es nicht mehr ertragen, und so bin ich in den Tränenbrunnen gesprungen, um meinem schändlichen Dasein ein Ende zu setzen. Aber die ewig junge Göttin hatte anderes mit mir im Sinn. Sie schonte mein Leben, weil sie wollte, dass ich dir begegne und dir helfe, die Sklaven dieses Bergwerks zu befreien. Das war doch auch, wofür ihre Priesterin gekämpft hat: ein Ende der Sklaverei. So hatte ihr Tod wenigstens noch einen Sinn, denn dadurch wurde letztlich die Sklaverei auf der Insel Andobras beendet!« Kawrins Augen glänzten hell im Mondlicht. »Das ist der verschlungene Pfad der Götter. Nichts geschieht ohne Grund.« Er sah Rai beinahe flehentlich an. »Und vielleicht hat mir Bajula jetzt verziehen.«
Rai wurde erst in diesem Augenblick bewusst, dass sein Mund offen stand. Auf eine solch umfassende Lebensbeichte war er nicht vorbereitet gewesen.
Er räusperte sich ein wenig verlegen und erwiderte dann stockend: »Ich denke … ich glaube, ich habe dich falsch eingeschätzt. Das heißt nicht, dass ich wirklich verstehe, warum du zu einem bezahlten Mörder geworden
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