Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
Nach einer meiner Straßenvorstellungen sprach mich dann ein gut gekleideter Mann an, der behauptete, das Wurfmesser gehöre ihm. Natürlich wollte ich ihm nicht glauben, aber er sagte, ich solle mich daran erinnern, wo ich das Messer gefunden hätte. Ich verstand das als verborgene Drohung, und so gab ich ihm eingeschüchtert die Waffe zurück. Daraufhin bot er mir an, ich könne mir das Messer zurückverdienen, indem ich einen kleinen Auftrag erledigen würde. Er nannte mir ein Haus, gab mir zwei kleine Tiegel, einen mit schwarzer und einen mit weißer Farbe, und beschrieb mir ein Zeichen, das ich dort an den Türrahmen malen sollte: ein schwarzer Dolch über einem weißen, vollen Mond. Von diesem Tag an übernahm ich häufiger kleinere Aufträge für den Edelmann, die ich alle zu seiner Zufriedenheit ausführte. Er erklärte mir, er gehöre zu einer geheimen Organisation, die sich die ›Silbergilde‹ nenne, und dass solch fähige Leute wie ich dort immer willkommen wären. Irgendwann ließ ich mich von dem Mann dann zu seinem so genannten Gildenheim bringen. Es wirkte zunächst wie ein ganz normales Handelshaus, aber als wir durch eine Geheimtür hinab in die Kellerräume des Gebäudes stiegen, wurde mir rasch klar, dass diese Leute alles andere als gewöhnliche Händler waren. Er schien bemüht, mir nur möglichst wenig von den riesigen, unterirdischen Gewölben zu zeigen, und brachte mich schließlich in einen feuchten Raum, der nach Abwasser stank. Dort übten mehrere Jungen in meinem Alter an merkwürdigen Holzpuppen den Gebrauch von allerlei Wurf-, Schuss- und Stichwaffen. Er hielt mir einen Beutel mit Goldmünzen vor die Nase und sagte, diesen bekäme ich, wenn ich die Ausbildung erfolgreich abschließen würde.« Kawrin seufzte, während er mit seiner Fußspitze Kreise in den Schotter am Wegesrand malte.
»Natürlich konnte ich bei so viel Geld nicht widerstehen. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, wozu sie mich ausbilden wollten. Ich sah nur das pralle Münzensäckchen, in dem sich mehr Gold befand, als ich jemals in meinem Leben besessen hatte, und warf sämtliche Vorbehalte einfach über Bord. Es zeigte sich, dass ich ein sehr begabter Schüler war und mir im Messerwerfen ohnehin niemand mehr etwas beibringen konnte. Dort lernte ich auch, was Xelosbecher sind und wie man sie am effektivsten zur Brandstiftung verwendet. Diese Wochen der Ausbildung vergingen wie im Flug und gehörten zu den schönsten meines Lebens. Es gab immer reichlich zu essen, alle mochten mich und bewunderten meine Fähigkeiten, ich hatte einen sicheren Platz zum Schlafen, kurzum, alles lief hervorragend. Ich bestand die Abschlussprüfung mit Leichtigkeit und erhielt das Geldsäckchen als Belohnung. Es stellte sich heraus, dass sich darin sogar mehr Münzen befanden als vermutet. Doch selbst dieses kleine Vermögen war schnell verprasst in einer Woche des hemmungslosen Feierns.« Wieder schwieg der junge Fendländer für einen Moment, während er mit den Augen dem Straßenverlauf folgte, nur um schließlich wieder trübsinnig auf seine Schuhe zu starren.
Rai konnte sich kaum zurückhalten, Kawrin sofort zum Weitersprechen zu drängen. Da er aber befürchtete, diesen durch seine Ungeduld erneut zu verärgern und deshalb das Ende seiner Geschichte niemals zu erfahren, zügelte er mit Mühe seine Neugier.
Endlich setzte sein blonder Freund die Erzählung fort: »Als ich wieder vollkommen mittellos war, ging ich zur Silbergilde zurück und bat dort um eine Arbeit, die mir so viel Geld einbringen würde, dass ich wieder jenes süße Leben genießen konnte, das ich in der letzten Woche schätzen gelernt hatte. Sie zeigten sich hocherfreut über meine Rückkehr und sagten, ich wäre jetzt bereit für die wirklich verantwortungsvollen Aufgaben.« Kawrin lachte verächtlich. »So kam es, dass ich das erste Mal jemanden im Zeichen von Dolch und Mond getötet habe. Es fiel mir eigentlich gar nicht schwer. Mein Opfer war ein fetter Kaufmann in einer Sänfte. Das Messer fuhr ihm in die Kehle, als er gerade einen seiner Träger mit einer Reitgerte schlug. Ich hatte wirklich nicht die geringsten Gewissensbisse. Und bekam gutes Geld dafür.«
»Du warst also wirklich ein Meuchelmörder«, entfuhr es Rai. »Töten für Geld.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich glaub es einfach nicht.«
»Ja, töten für Geld«, wiederholte Kawrin und sah dabei seinem Gegenüber das erste Mal trotzig ins Gesicht, »so wie jeder Söldner und jeder
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