Vermächtnis der Sünder: Die Kinder des Einen (German Edition)
alle Mittel aus«, fuhr Celena fort, »Um ihre Reihen aufzufüllen, wenn die Zeit drängt.«
»Ihr spielt auf das Recht der Zwangsrekrutierung an«, sagte Wilna. »Manchmal muss man Opfer bringen.«
Celenas Blick verdüsterte sich rapide.
»Ihr nennt es so. Ich nenne es Sklaverei.«
Den Tisch umrundend, um Wilna von der anderen Seite der Tafel ins Auge zu fassen, sprach Celena weiter. Den leicht in sich grienenden Ausdruck von Terzios bemerkte sie sehr wohl.
»Die Pflicht, sich für das Wohl vieler zu opfern - wahrlich eine edle Tat. Aber verlangt sie, dass man mit genau jener Macht flirtet? Jene Macht, die der göttliche Schöpfer als Strafe für unseren sündigen Hochmut sandte. Sagt mir, Wilna. Ist das gefällig in den Augen des Schöpfergottes?«
Wilna senkte ihre Augen. »Ich weiß es nicht.«
Celena ließ nicht locker. Sie brauchte Wilna auf ihrer Seite. So sehr die ergraute Magierin an den Pflichten und Ansichten über Opferbereitschaft auch festhalten mochte. Und auch wenn es ihr schmerzte, diese hartnäckige Schale, hinter der sich ein Freigeist verbarg, musste zerbrochen werden.
»Gehört es zur Pflicht, andere einzuberufen und sie aus ihrem Leben zu entreißen? Gehört es sich, dem sterbenden Vater seine Tochter abzuschwatzen? Ist es die Pflicht, sie abhängig zu machen, indem man eine Lebensschuld einfordert? Nur um dazu gezwungen zu werden, sich dem Bösen eigenhändig auszuliefern. Wer nicht mitzieht, wird umgebracht – weil diese Gemeinschaft derart außergewöhnlich ist, dass niemand erfahren darf, was sie derart besonders macht. Das ist richtig und selbstverständlich? Das sind die Opfer, die man bringen muss?«, bläffte Celena ironisch die letzten Sätze heraus. Sie schnaubte auf. »Nichts von alldem ist in irgendeiner Weise verständlich.«
Ihr Ton wurde eine Spur tiefer.
»Niemand ist entbehrlich und niemand hat das Recht Opfer zu verlangen. Ein jedes einzelne Individuum ist wertvoll. Ihr Recht? Ich spucke darauf.« Die Hüterin spie die Worte durch den Raum.
»Angenommen, die Horde der "Anderen" stirbt nicht aus, sondern vermehrt sich? Wie viele hätte Kommandant Nacud zwangsverpflichten müssen? Wie viele sind nötig, damit aus Recht Unrecht wird, Wilna? Einer? Zehn? Einhundert? Tausend? Oder sogar Unzählige mehr? Wie viele sind nötig?«
Celena schnappte nach Luft. Ihr Herz pochte nahe ihrer Kehle, so sehr hatte sie sich in Rage geredet.
»Es ist verständlich, dass wir uns schützend vor die Wehrlosen stellen«, räumte Celena ein. »Und ich stelle deshalb die Frage erneut: Ist es gerechtfertig jedes - wirklich jedes Mittel zu ergreifen, um einen Sieg gegen einen Feind zu erringen, den man nicht besiegen kann.«
Mit einem tiefen Seufzer aus ihrer Kehle heraus sah Celena Belothar an.
»Erinnert ihr euch, eure Majestät? Damals, dieser kleine Junge war besessen und die einfachste Möglichkeit bestand darin, ihn zu töten. Wir taten es nicht. Die Option seine Mutter zu opfern, damit Morena an den Dämon herankam, um diesen zu töten. Wir taten es nicht. Warum nicht? Es wäre so einfach gewesen. Die Antwort kennt ihr. Weil ich mir sicher war, dass es noch einen anderen Weg geben musste. Eine andere Lösung! Und es gab sie.«
Terzios schaltete sich ein. Seine kratzende Stimme erfüllte den gesamten Raum.
»Es ist das personifizierte Böse, dass wir immer und immer wieder zurückdrängen. Besiegen können wir es nicht. Stattdessen verhalten sich die "Anderen" Jahrhunderte ruhig. Sie haben viel Zeit sich durch Hass und Furcht, welche wir mit Krieg und Gewalt produzieren, zu ernähren.«
Mit großen Augen sah Celena den alten Hüter an, der noch immer an seiner Pfeife zog. Ebenso wandten sich alle anderen Augenpaare, auch die von Belothar, zu ihm. Die Ausnahme machte Sebyll, die völlig desinteressiert zu sein schien.
»Meine Güte! Hatte ich es vergessen, das zu erwähnen?« kommentierte er die entsetzten Gesichter.
»Hass und Gewalt, Furcht und Krieg. Genau das - und nur das ist es, was sie antreibt, und stärker macht. Ich sagte kürzlich, es gibt Geheimnisse, die wir Alten nicht weitergeben. Weil wir dummerweise die Welt und ihre Individuen nicht ändern können. Deswegen ergibt man sich in die Schicksalsergebenheit der Situation. Und so verfährt der Orden der San-Hüter seit Jahrhunderten entgegen allem, woran sie selbst angeblich glauben. Dem Schöpfergott.«
Der Alte erhob sich und schritt um die Tafelrunde.
»Warum sollte der Schöpfergott mit uns, mit den Hütern sein, wenn wir das mit
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