Vermächtnis des Pharao
mein Ziel. Ich möchte wieder ein Schreiber sein und ein ruhiges Leben führen.«
Die folgenden Tage brachten nichts Neues, aber in der Stadt summten die Gerüchte. Amotju war in der Nördlichen Hauptstadt gesehen worden. Im Delta. Weit stromaufwärts in Napata. Ein heiliger Mann berichtete, er sei seinem Chou- Geist begegnet, und der habe ihm gesagt, wo der Leichnam liege; aber die Suche blieb erfolglos. Während Ani sich von seiner Verletzung erholte, befahl er Amotjus Matrosen, die im Hafen arbeiteten, sich überall umzuhören, aber niemand hatte gesehen, daß Amotju an Bord einer stromaufwärts oder stromabwärts reisenden Barke gegangen wäre, und kein Fährmann hatte ihn über den Fluß zum Tal hinübergefahren. »Es sei denn, er hätte sich verkleidet«, sagte Ani. Aber weshalb sollte Amotju den Wunsch haben, zu verschwinden?
Am achten Tag kam ein Läufer und brachte Aset einen Brief. Sie öffnete ihn im Garten und las, und ihr Gesicht wurde ernst.
»Er ist von Taheb«, sagt sie und sah Huy an. »Sie will, daß wir uns mit den Schreibern treffen, um über die Zukunft der Flotte zu sprechen.«
»Sie kann doch noch nicht glauben, daß er tot ist?«
»Vielleicht glaubt sie es nicht. Aber möglicherweise wünscht sie es sich.«
Das konnte Huy sich ebensowenig vorstellen. Aber so oder so , es kam nicht mehr zu dem Treffen. Noch am selben Tag wurde Amotju von ein paar Grabarbeitern gefunden; er irrte erschöpft und halb verhungert am Westufer des Flusses umher. Seine feinen Kleider hingen in Fetzen, und er schien nicht zu wissen, wo er war. Lange Zeit blieb er stumm, ließ aber zu, daß man ihn wusch, versorgte und kleidete. Dies war Tahebs Stunde: Sie wurde Ärztin, Krankenschwester und Mutter und gönnte sich nur ein Mindestmaß an Schlaf, um ordentlich für ihn sorgen zu können. Huy fand ihr Benehmen merkwürdig, wo sie doch nur einen Tage zuvor mit dem Tod ihres Mannes gerechnet hatte, bevor irgendjemand sonst die Hoffnung aufgegeben hatte. Gleichzeitig akzeptierte er es dankbar, weil sie dadurch so beschäftigt und entspannt war, daß sie ihm erlaubte, Amotju jederzeit zu besuchen. Allerdings durfte er keine Fragen stellen und auch nicht lange bleiben.
Eine Zeitlang befürchtete man, sein Gedächtnisverlust sei so groß, daß er nicht nur seiner Vergangenheit, sondern auch der Sprache beraubt war. Mutnofret, die ihn nicht sehen konnte, war außer sich - eine Reaktion, die Huy fast so überraschend fand wie die Tahebs, denn er hatte Mutnofret für eine Frau gehalten, die ihre Gefühle sehr gut unter Kontrolle hatte. Er hielt sie auf dem laufenden, so gut er konnte - sehr zu Asets Widerwillen -, aber bei keinem seiner Besuche konnte er ihr viel Neues berichten, und überhaupt nichts Gutes.
Dann sprachen winzige Anzeichen dafür, daß Amotju aus dem tiefen Schock, in dem sie ihn gefunden hatten, langsam wieder auftauchte. Als erstes trat das Erkennen wieder in seinen Blick - er schien zu wissen, wo er war, und wer bei ihm war. Nicht lange, und seine Lippen bewegten sich, als versuche er, Worte zu formen. Das dauerte viel länger, aber sein Verlangen, zu sprechen, war stark, und er plagte sich, bis es ihm gelang. Dann machte er rasch Fortschritte, blieb aber weiter verschlossen, sprach mit anderen nur gesenkten Blicks und wollte niemandem in die Augen schauen.
Zu Tahebs unübersehbarem Ärger war Huy derjenige, mit dem er am dringlichsten sprechen wollte. Huy wurde geholt, mußte aber als erstes das Sperrfeuer überstehen, das die Gattin seines Freundes für ihn bereithielt. Sie konfrontierte ihn mit einer Liste von Warnungen und Bedingungen, die eines Provinzstatthalters würdig gewesen wäre, bevor sie ihn in einen kleinen Innenhof ließ. Dann verschwand sie ebenso widerwillig wie mißtrauisch.
Er sah sich in einem Geviert, das kaum größer war als eine Laube. Die Wände waren mit lebhaften, bunten Mustern bemalt: Enten, die über Lotoshaine flogen, Jäger, die im Sumpf mit Wurfstöcken Federwild jagten, und Ochsen die am Fluß pflügten.
Der Hof wurde beherrscht von einem alten Feigenbaum, dessen Schatten alles umhüllte und die Umgebung in mildes Dämmerlicht tauchte. Amotju saß auf einer langen flachen, mit Gazellenfell bedeckten Couch, gestützt von
einem dicken Polster.
Er winkte Huy mit teilnahmslosem Lächeln zu sich.
»Mein Freund...«
Huy umschlang zur Begrüßung das Handgelenk des Freundes und fühlte entsetzt, wie dünn es geworden war. Die Haut auf dem Handrücken war rissig und
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