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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Kinderbetreuungsproblems moderner, berufstätiger Paare mehrere Vorteile. Sie sind hoch motiviert, ihre eigenen Enkel zu betreuen, verfügen über Erfahrungen aus der Erziehung ihrer eigenen Kinder, können einem Kind ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen, geben die Tätigkeit in der Regel nicht kurzfristig wegen einer besseren Anstellung auf, arbeiten gern ohne Bezahlung und verlangen weder Geld noch zusätzliche Vergünstigungen. In meinem eigenen Freundeskreis gibt es Großväter und Großmütter, die viele verschiedene Berufe ausgeübt haben – Ärzte, Anwälte, Professoren, Manager, Ingenieure und andere –, sich jetzt im Ruhestand befinden und gern regelmäßig ihre Enkel betreuen, während die Töchter, Söhne, Schwiegersöhne und Schwiegertöchter außer Haus einer Berufstätigkeit nachgehen. Diese älteren Freunde haben eine ganz ähnliche Rolle übernommen wie die Großeltern bei den !Kung, die sich um die Enkel im Lager kümmern und ihren eigenen Kindern damit die Freiheit verschaffen, auf Antilopenjagd zu gehen und Mongongonüsse zu sammeln. In einer solchen Situation gewinnen alle Beteiligten: die Großeltern, die Eltern und das Kind. Einen Vorbehalt muss ich dabei allerdings hinzufügen: Heute, da Ehepaare häufig erst lange nach dem 30 . oder sogar nach dem 40 . Lebensjahr Eltern werden, sind die Großeltern ihrerseits vielleicht schon Ende 70 oder Anfang 80 und haben nicht mehr die Ausdauer, die man braucht, um es den ganzen Tag über mit einem kleinen Kind aufzunehmen.
    Ein zweiter Vorschlag hat mit einer positiven Seite des schnellen technologischen und gesellschaftlichen Wandels zu tun. Dieser Wandel führt zwar dazu, dass die Fähigkeiten älterer Menschen in einem eng begrenzten Sinn veralten, gleichzeitig werden ihre Erfahrungen in einem weiter gefassten Sinn aber wertvoller, denn sie wurden zum Teil auch unter Umständen gewonnen, die ganz anders sind als die heutigen Verhältnisse. Sollten ähnliche Umstände in Zukunft wieder einmal eintreten, fehlt den heutigen jungen Erwachsenen das persönliche Wissen über den Umgang mit ihnen. Dann könnte gerade die ältere Generation die mit den wichtigsten einschlägigen Erfahrungen sein. Die älteren Menschen unserer Zeit ähneln der 80 -jährigen Frau, die ich auf Rennell Island kennenlernte und die den hungikengi auf der Insel überlebt hatte: Ihr Wissen darüber, welche Früchte man in Hungerzeiten essen kann, mag nutzlos und verschroben erscheinen – aber wenn der nächste hungikengi zuschlägt, wird sie als Einzige wissen, wie man damit zurechtkommt.
    Von unzähligen Beispielen, mit denen man diesen Wert der Erinnerungen älterer Menschen belegen könnte, möchte ich nur zwei kleine Geschichten aus eigener Erfahrung erwähnen. Der Professor, der mich im College betreute, war 1902 geboren. Ich weiß noch, dass er mir 1956 erzählte, was es für ein Gefühl gewesen war, in einer amerikanischen Großstadt aufzuwachsen, in der die Pferdewagen gerade von Motorfahrzeugen verdrängt wurden. Er und seine Zeitgenossen waren damals begeistert über diesen Wandel, denn sie konnten zusehen, wie es in der Stadt durch Autos viel sauberer (!) und leiser (!!) wurde, weil der Pferdedung und das Hufgetrappel aus den Straßen verschwanden. Heute, da wir Motorfahrzeuge mit Umweltverschmutzung und Lärm assoziieren, erscheinen uns die Erinnerungen meines Professors absurd, solange wir nicht an die umfassendere Erkenntnis denken: Technischer Wandel bringt neben dem erhofften Nutzen regelmäßig auch unvorhergesehene Probleme mit sich.
    Das zweite Erlebnis hatte ich, als mein damals 22 -jähriger Sohn Joshua und ich eines Abends in einem Hotel mit einem 86 -jährigen ehemaligen Soldaten zusammensaßen, der am 20 . November 1943 an dem amerikanischen Angriff auf die Strände des Tarawa-Atolls im Südwestpazifik beteiligt gewesen war (und bereit war, darüber zu reden). Gegen heftigen japanischen Widerstand hatten die Vereinigten Staaten eine der am stärksten umkämpften Landungsoperationen des Zweiten Weltkriegs durchgeführt, wobei innerhalb von drei Tagen auf einer Fläche von etwas mehr als einem Quadratkilometer 1115 Amerikaner und nahezu alle – 4582 von 4601  – japanische Verteidiger ums Leben kamen. Ich hatte die Geschichte über den Schrecken von Tarawa nie aus erster Hand gehört und hoffe, dass Joshua selbst nie solche schrecklichen Erfahrungen machen muss. Aber vielleicht werden er und seine Generation für unser Land bessere Entscheidungen

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