Vermächtnis

Bekanntenkreis.
    Hinter dieser zunehmenden sozialen Isolation der Älteren in unserer Zeit steht die Wahrnehmung, sie seien weniger nützlich als alte Menschen in früheren Zeiten. Das hat drei Gründe: Alphabetisierung, formelle Ausbildung und schneller technologischer Wandel. Heute speichern wir Wissen in schriftlicher Form, und deshalb haben Lesen und Schreiben die Funktion der Erinnerung alter Menschen, die früher das wichtigste Mittel der Wissensspeicherung darstellte, abgelöst. Alle funktionierenden Staatsgesellschaften unterstützen Bildungssysteme, und in der Ersten Welt ist der Schulbesuch für Kinder nahezu überall verpflichtend; deshalb sind alte Menschen insgesamt weder das Gedächtnis noch die Lehrer einer Gesellschaft. Und was den technischen Wandel angeht, so lief dieser früher im Schneckentempo ab, und das hatte zur Folge, dass eine Technik, die ein Mensch in seiner Kindheit erlernt hatte, auch 70  Jahre später noch in unveränderter Form angewandt wurde, womit die technischen Fähigkeiten eines alten Menschen nach wie vor nützlich waren. Heute dagegen folgen technische Neuerungen schnell aufeinander, eine Technologie ist schon nach wenigen Jahren veraltet, und die Ausbildung, die alte Menschen vor 70  Jahren genossen haben, ist nutzlos. Um ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung zu nennen: Als ich in den 1940 er und 1950 er Jahren zur Schule ging, benutzten wir vier Methoden zur Multiplikation von Zahlen: Wir lernten Multiplikationstabellen auswendig, mit denen wir kleine, zweistellige Zahlen multiplizieren konnten und genaue Ergebnisse erhielten; mit der schriftlichen Multiplikation erhielten wir ebenfalls genaue Ergebnisse, sie war aber für Zahlen mit mehr als vier Stellen zu langwierig; mit dem Rechenschieber gelangte man schnell zu Ergebnissen, die auf ungefähr drei Dezimalstellen genau waren; und mit der Logarithmentafel erhielt man recht schnell Ergebnisse mit einer Genauigkeit von vier bis fünf Dezimalstellen. Ich beherrschte alle vier Methoden recht gut, aber diese meine Fähigkeiten sind heute nutzlos, denn die Generation meiner Söhne gelangt mit dem Taschenrechner innerhalb weniger Sekunden zu Ergebnissen, die auf sieben Dezimalstellen genau sind. Auch meine Fähigkeiten, ein Röhrenradio zu bauen oder ein Auto mit Schaltgetriebe zu fahren, sind veraltet. Ebenso nutzlos ist vieles andere geworden, was meine Zeitgenossen und ich in unserer Jugend gelernt haben, und vieles, was wir nie gelernt haben, ist heute unverzichtbar.
    Was macht man mit älteren Menschen?
    Kurz gesagt, hat sich die Stellung alter Menschen in den modernen westlichen Gesellschaften während der letzten 100  Jahre drastisch und auf paradoxe Weise verändert. Mit den Folgen, die einen katastrophalen Bereich des modernen Lebens darstellen, schlagen wir uns heute noch herum. Auf der einen Seite leben die Menschen länger, alte Menschen erfreuen sich einer besseren körperlichen Gesundheit, und die übrige Gesellschaft kann sich ihre Versorgung besser leisten als in jeder früheren Epoche der Menschheitsgeschichte. Andererseits haben alte Menschen die Nützlichkeit, die sie der Gesellschaft traditionell bieten konnten, zum größten Teil verloren, und oft sind sie bei besserer körperlicher Gesundheit in einem elenden sozialen Zustand. Die meisten Leser dieses Buches haben wahrscheinlich bereits vor solchen Problemen gestanden oder werden davor stehen: Entweder weil man entscheiden muss, was man mit den betagten Eltern anfängt, oder weil man selbst alt wird. Was können wir tun? Ich möchte vor dem Hintergrund meiner persönlichen Beobachtungen einige Vorschläge unterbreiten, ohne dabei so zu tun, als könne man damit dieses gewaltige Problem lösen.
    Ein Vorschlag betrifft eine Erneuerung der traditionellen, wichtigen Rolle alter Menschen als Großeltern. Bis zum Zweiten Weltkrieg blieben die meisten amerikanischen und europäischen Frauen im gebärfähigen Alter zu Hause und versorgten ihre Kinder. In den letzten Jahrzehnten sind junge Frauen aus Interesse und/oder wirtschaftlicher Notwendigkeit zunehmend außer Haus berufstätig. Daraus erwächst das Problem der Kinderbetreuung, das so vielen jungen Eltern nur allzu bekannt ist. Sie bemühen sich, es mit Hilfe von Babysittern und Kindertagesstätten in unterschiedlicher Kombination zu lösen, aber Schwierigkeiten mit der Zuverlässigkeit und Qualität solcher Institutionen sind weit verbreitet.
    Großeltern bieten bei der Lösung des