Vermächtnis
wollten mit unserer Ausrüstung auf das neuguineische Festland übersetzen, das von der Insel durch eine Meeresstraße mit einer Breite von ein paar Dutzend Kilometern getrennt war. An einem wolkenlosen Nachmittag gegen 16 Uhr, etwas mehr als zwei Stunden vor Sonnenuntergang, stiegen wir zusammen mit vier anderen Passagieren in ein rund neun Meter langes hölzernes Kanu, das von zwei am Heck angebrachten Außenbordmotoren angetrieben wurde und eine Besatzung von drei jungen Männern hatte. Die anderen vier Passagiere waren keine Neuguineer: Einer war ein chinesischer Fischer, der auf dem Festland von Neuguinea arbeitete, drei andere Männer stammten von den indonesischen Inseln Ambon, Ceram und Java. Der Fracht- und Passagierraum des Kanus lag unter einem rund 1 , 20 Meter hohen Sonnendach aus Kunststoff, das sich über ein Gerüst spannte, seitlich am Kanu lose befestigt war und sich von ungefähr 1 , 60 Meter vor dem Heck bis drei Meter hinter dem Bug des Kanus erstreckte. Die drei Besatzungsmitglieder saßen im Heck an den Motoren, Franz und ich saßen entgegen der Fahrtrichtung unmittelbar vor ihnen. Da sich über uns und seitlich das Sonnensegel befand, konnten wir draußen kaum etwas sehen. Die vier anderen Passagiere saßen in unserem Rücken und blickten zum Bug.
Das Kanu legte ab, und wenig später ließ die Mannschaft die Motoren mit voller Kraft laufen. Wir fuhren durch mehr als einen Meter hohe Wellen. Unter dem Sonnensegel spritzte ein wenig Wasser ins Boot, dann ein wenig mehr, und die anderen Passagiere begannen gutmütig zu stöhnen. Als immer größere Wassermengen ins Boot spritzten, begann einer aus der Besatzung, unmittelbar vor mir Wasser unter der lockeren Seitenwand des Sonnensegels hinauszuschöpfen. Immer mehr Wasser schwappte herein und durchweichte das Gepäck, das am Vorderende des Kanus verstaut war. Um mein Fernglas vor dem Wasser zu schützen, steckte ich es in den kleinen gelben Schultersack, den ich vor mir auf dem Schoß hielt und in dem sich auch mein Pass, das Geld und meine Notizen aus dem Freiland befanden, alles in einem Plastikbeutel verpackt. Über das Dröhnen der Motoren und das Krachen der Wellen hinweg riefen Franz und die anderen Passagiere, jetzt überhaupt nicht mehr gutmütig, dem Fahrer zu, er solle langsamer fahren oder umkehren. [Dieses und alle übrigen Gespräche während des ganzen Vorfalls wurden auf Indonesisch geführt, der allgemein verbreiteten Amtssprache von Indonesisch-Neuguinea]. Aber er bremste nicht, und immer mehr Wasser spritzte herein. Durch das Gewicht des Wassers lag das Kanu jetzt so tief, dass Wasser auch über die Bordwände schwappte.
In den nächsten Sekunden, als das Kanu immer tiefer im Wasser lag, ging alles so durcheinander, dass ich es nicht im Einzelnen rekonstruieren kann. Ich hatte mittlerweile Angst, ich würde unter der Plastikplane des Kanus steckenbleiben, wenn es sank. Irgendwie gelang es mir und allen anderen, aus dem Kanu in den Ozean zu gelangen. Ich weiß nicht, ob einige von uns im Heck aus dem offenen, nicht von der Plane abgedeckten Raum sprangen, oder ob wir seitlich unter der Plane hervorkrabbelten, und ebenso kann ich mich nicht erinnern, ob die Passagiere vor uns unter der Plane herauskrabbelten oder sich in den offenen Raum vor oder hinter dem Sonnensegel drängten. Wie Franz mir später erzählte, stieg die Mannschaft zuerst aus, dann kam ich und zuletzt er.
Die nächste Minute war für mich noch mehr vor Panik verschwommen. Ich trug meine schweren Wanderstiefel, ein langärmeliges Hemd und kurze Hosen; im Wasser war ich jetzt mehrere Meter vom Kanu entfernt, das gekentert war und kieloben lag. Die schweren Stiefel zogen mich unter Wasser. Mein erster Gedanke war sehr lebhaft und angstbesetzt: Woran kann ich mich festhalten, um über Wasser zu bleiben? Ganz in meiner Nähe hielt sich jemand an einem gelben Rettungsring fest, und ich versuchte in meiner Panik, ebenfalls danach zu greifen, aber der andere schob mich weg. Aus meinem Blickwinkel hier im Wasser schienen die Wellen sehr hoch zu sein. Ich hatte ein wenig Wasser geschluckt. Zwar kann ich kurze Strecken in einem ruhigen Schwimmbecken schwimmen, ich wäre aber nicht in der Lage gewesen, viele Minuten lang bei Wellengang zu schwimmen oder mich treiben zu lassen. Mich überwältigte die Angst, dass nichts mich über Wasser halten könnte: Unser Gepäck und der Benzintank des Kanus schwammen in der Nähe, hatten aber nicht so viel Auftrieb, dass sie mein
Weitere Kostenlose Bücher