Vermächtnis
mir noch im Kanu gesessen hatten – die vier übrigen Passagiere und drei Besatzungsmitglieder –, saßen jetzt alle auf dem Vorderende des umgedrehten Bootsrumpfes oder hielten sich daran fest. Der Passagier von Ceram tauchte mehrmals unter das Kanu und suchte nach Nützlichem; dabei gelang es ihm, die drei Rettungsringe des Bootes herauszuziehen, die er an die sieben Personen am Bug weitergab. Niemand tat irgendetwas, um Franz und mir zu helfen. Der Passagier von Ambon weinte und sagte immer wieder: »Ich kann nicht schwimmen, wir werden alle sterben!« Der Passagier von Java sprach Gebete. Der chinesische Fischer erklärte, er habe Angst vor Regen und großen Wellen, falls wir nach Sonnenuntergang immer noch schwammen und am Leben waren; »dann helfe uns Gott!«, fügte er hinzu. Franz meinte, wir müssten entweder in der noch verbliebenen Stunde bis zum Sonnenuntergang gerettet werden, oder es gebe keine Hoffnung mehr für uns, weil die Meeresströmungen uns vom Land wegtragen würden, und dann würden wir die Nacht nicht überleben. Ich selbst dachte nicht ernsthaft darüber nach, was uns widerfahren würde, wenn wir vor Sonnenuntergang nicht gerettet wurden; ich überlegte nur, wie schwer es mir schon gefallen war, mich bei Tageslicht eine Stunde lang nass und zitternd an den Rumpf zu klammern, und wie viel schwieriger es sein musste, nachts im Dunkeln für zwölf Stunden so auszuharren. Aber die drei Besatzungsmitglieder und der Mann von Ceram wirkten ruhig und gelassen. Einer von ihnen sang, einer oder zwei schwammen hin und wieder um den Rumpf herum, und der Mann von Ceram saß auf dem Rumpf und aß eine große Durianfrucht – die Passagiere hatten mehrere solche Früchte mitgebracht, die jetzt auf dem Wasser schwammen.
Immer wieder sahen wir uns nach anderen Booten um. Es war nichts zu sehen, nur in der Ferne, in Richtung des Festlandes von Neuguinea, erkannte man ein paar Segel. Ungefähr um 17 Uhr 30 , eine Stunde vor Sonnenuntergang, machten wir drei kleine Segel von Kanus aus, deren Kurs vom Festland in großer Entfernung an uns vorüberführen musste. Einer meiner Mitpassagiere nahm einen Stock, band ein Hemd daran, stellte sich auf den Rumpf des Kanus und winkte mit Stock und Hemd, um die Menschen in den Segelkanus auf uns aufmerksam zu machen. Der Mann von Ceram bat mich, mein blaues Hemd auszuziehen, das Franz dann ebenfalls an einem Stock befestigte und schwenkte, nachdem er aufgestanden war. Wir alle riefen ständig »Tolong!« (das indonesische Wort für »Hilfe«), aber für die Kanus, die in der Ferne vorübersegelten, waren wir weit außerhalb der Hörweite.
Ich stand immer noch auf dem Motor, der unter Wasser kopfüber am Heck hing. Er bot meinen Füßen wenigstens festen Halt, während die anderen sieben Personen vor mir auf dem glatten, runden Rumpf saßen oder standen und sich wie Franz, der sich zu ihnen gesellt hatte, nirgendwo festhalten konnten. Aber ich wusste, dass ich in dieser unbequemen Haltung nicht die ganze Nacht dort stehen konnte – schon jetzt hatte ich Krämpfe im Bein. Ich rief Franz die Frage zu, ob es mir nach seiner Ansicht mehr Sicherheit bieten würde, wenn ich bei ihm und den anderen vorn auf dem Rumpf sitzen würde, statt auf dem Motor zu stehen, und er bejahte. Um vom Heck zum vorderen Ende des Bootes zu gelangen, musste ich einen Teil des Rumpfes überqueren, der noch unsicherer war als Heck oder Bug: Ich musste über den runden Rumpf des schwankenden Kanus laufen. Ich kletterte vom Motor auf den Rumpf, stand auf und versuchte vorwärtszugehen. Dabei stürzte ich sofort ins Meer, krabbelte wieder zurück auf den Rumpf, kam schließlich an eine Stelle unmittelbar hinter dem chinesischen Fischer und setzte mich hinter ihm rittlings hin. Das war mit einigen Nachteilen verbunden: Ich hatte weder für die Hände noch für meine Füße irgendeinen Halt, musste auf dem rollenden Rumpf immer wieder hin und her rutschen, fiel mehrere Male ins Wasser und musste wieder zurückklettern. Schließlich begann ich zu bibbern, weil ich vollständig an der Luft war und nicht teilweise in dem warmen Meer. Paradoxerweise lauerte hier im tropischen Tiefland die Gefahr der Unterkühlung: Wäre ich trocken gewesen, hätte ich die Luft zwar als sehr warm empfunden, aber da ich ständig nass gespritzt, feucht und dem Wind ausgesetzt war, fror ich. Immerhin hatte ich den Kopf aber jetzt über den Wellen, ich stand nicht mehr mit immer stärkeren Beinkrämpfen auf dem Motor,
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