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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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und ich dachte, ich könne meine neue Körperhaltung länger beibehalten als die, in der ich am Heck gestanden hatte.
    Als die Sonne immer tiefer in Richtung des Horizonts sank, nahmen zwei der drei Besatzungsmitglieder jeweils einen Rettungsring und schwammen in Richtung der mehrere Kilometer entfernten Insel, von der wir aufgebrochen waren; sie sagten, sie wollten Hilfe holen. Immer noch war nicht klar, ob die drei Segelkanus in der Ferne auf einem Kurs waren, der weit vor uns vorüberführen würde, ob sie uns nicht sehen oder hören konnten oder ob eines von ihnen näher kam. Die übrigen Männer auf unserem Rumpf deuteten zur Sonne, überlegten, wie viele Minuten noch bis zum Sonnenuntergang blieben und fragten, ob wir von den Segelkanus gegen die Sonne oder mit der Sonne im Rücken besser zu sehen wären. Außer den Segelkanus sahen wir noch eine Motorbarkasse und möglicherweise ein anderes Boot, aber die waren sehr weit weg.
    Jetzt sah es so aus, als würde das Segel des Kanus, das uns am nächsten war, größer. Das Boot war jetzt so gut zu sehen, dass seine Besatzung auch uns gesehen haben musste, und tatsächlich kam es näher. Als es noch ungefähr 100  Meter entfernt war, hielt es an und ließ sein Segel herunter. In dem Kanu saß nur ein Mann, der jetzt in unsere Richtung paddelte. Wir sahen, dass es sich um ein kleines Fahrzeug handelte: Es war nur ungefähr drei Meter lang, lag sehr tief im Wasser, und es hatte vielleicht 15  Zentimeter Freibord. Als es längsseits ging, sprangen die beiden Männer, die auf unserem ungeschlagenen Rumpf dem Kanu am nächsten waren, ohne weitere Diskussion hinein: der Mann von Ambon, der nicht schwimmen konnte, und der Indonesier aus Java. Mehr Menschen konnte das kleine Kanu nicht gefahrlos aufnehmen, und sein Fahrer paddelte davon. Währenddessen stellte sich heraus, dass auch das zweite der drei Kanus näher kam, und es ließ ebenfalls in einer Entfernung von 100  Metern das Segel fallen. Dieses Boot war ein wenig größer als das erste, und die beiden Männer, die darin saßen, paddelten auf uns zu. Als sie in unserer Nähe waren, entspann sich diesmal zwischen den beiden Insassen und unserer Gruppe sowie innerhalb der Gruppe selbst eine Diskussion über die Frage, wie viele Menschen dieses Boot aufnehmen konnte und wer das sein sollte. Anfangs meinten die beiden Männer im Boot, sie könnten nur zwei oder drei von uns aufnehmen, denn sie machten sich Sorgen um die Tragfähigkeit ihres Kanus und fürchteten, selbst unterzugehen. Schließlich willigten sie aber ein, vier von uns fünf Personen, die wir noch auf dem Rumpf saßen, an Bord zu nehmen. Wir kamen überein, dass der dritte Mann unserer Besatzung auf dem Rumpf bleiben und den letzten Rettungsring behalten sollte.
    Als ich in das Segelkanu stieg, fragte Franz, wo mein Pass sei. Ich erwiderte, er sei in dem gelben Schultersack, der sich möglicherweise noch in dem luftgefüllten Raum unter unserem Rumpf befand. Der Mann von Ceram, der schon mehrmals unter den Rumpf getaucht war und dort die Rettungsringe herausgeholt hatte, tauchte noch einmal, kam mit meinem gelben Schultersack wieder zum Vorschein und gab ihn mir. Dann stieß das Segelkanu von dem gekenterten Rumpf ab; wir saßen jetzt zu sechst darin: vorn und hinten die beiden Besatzungsmitglieder, hinter dem vorderen Seemann der chinesische Fischer, dann ich, Franz und der Mann von Ceram. Ich hatte immer wieder auf meine Armbanduhr geblickt, die zu meinem Erstaunen noch funktionierte, obwohl sie im Meerwasser gewesen war. Es war jetzt 18  Uhr  15 , 15  Minuten vor Sonnenuntergang. Seit dem Kentern unseres Kanus waren wir zwei Stunden im Wasser gewesen.
    Wenig später wurde es dunkel. Unsere beiden Retter paddelten in Richtung des nächstgelegenen Ufers, und das war nun einmal die Insel, von der wir am Nachmittag aufgebrochen waren. Das Segelkanu lag mit wenigen Zentimetern Freibord sehr tief im Wasser, und einer der Männer, die hinter mir saßen, schöpfte ständig. Ich überlegte, dass auch dieses kleine, schwerbeladene Kanu kentern konnte, aber dass wir jetzt vermutlich in Sicherheit waren. Erleichterung oder irgendwelche anderen starken Gefühle empfand ich nicht; alles geschah einfach mit mir, als wäre ich ein leidenschaftsloser Beobachter.
    Als wir weiterpaddelten, hörten wir im Wasser zu unserer Linken Stimmen. Ich vermutete, dies seien die beiden Besatzungsmitglieder unseres Motorkanus, die mit den Rettungsringen davongeschwommen waren.

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