Vermächtnis
Aber einer meiner Begleiter verstand besser als ich, was die Stimmen auf Indonesisch riefen. Wie sich herausstellte, handelte es sich um die drei Menschen aus dem ersten Rettungskanu (sein Steuermann sowie unsere beiden Passagiere aus Ambon und Java): Ihr Boot war gesunken, weil es überladen gewesen war und zu viel Wasser aufgenommen hatte. Unser eigenes Kanu lag so tief, dass wir keine weitere Person mehr aufnehmen konnten. Irgendjemand von meinen Begleitern rief den drei Männern im Wasser etwas zu, und unsere Retter paddelten weiter; die drei anderen überließen sie ihrem Schicksal.
Wie lange es dauerte, bis wir auf der Insel waren, weiß ich nicht – vielleicht war es eine Stunde. Als wir uns dem Ufer näherten, sahen wir, wie sich große Wellen brachen. Am Strand brannte ein Feuer, und wir fragten uns, was das zu bedeuten hatte. Vor mir hörte ich ein auf Indonesisch geführtes Gespräch zwischen dem chinesischen Fischer und dem Kanufahrer im Bug, in dem immer wieder die Worte »empatpuluribu« vorkamen, die » 40 000 « bedeuten. Der chinesische Fischer, der aus dem gekenterten Kanu eine kleine Tasche gerettet hatte, öffnete sie, nahm Geld heraus und gab es dem Paddler. Ich nahm an, der Paddler sei müde und wollte uns in der Nähe an den Strand mit dem Feuer absetzen, und der Fischer habe ihm 40 000 indonesische Rupien geboten, damit er uns zum Hauptanlegeplatz der Insel brachte. Aber wie Franz mir später erzählte, hatte der Paddler in Wirklichkeit ungefähr Folgendes gesagt: »Wenn du mir nicht 10 000 Rupien (ungefähr vier Euro) für jeden von euch vier gibst, bringe ich euch zurück zu dem gekenterten Kanu und lasse euch dort zurück.«
Das Kanu, das uns gerettet hatte, umrundete eine Landspitze der Insel und fuhr in eine geschützte Bucht, in der am Strand Lagerfeuer brannten. Hinter uns in der Dunkelheit hörten wir Motorengeräusch und sahen ein Motorboot mit einem hellen Scheinwerfer, das langsam hinter uns her fuhr. Unser kleines Kanu hielt im flachen Wasser; Franz, der chinesische Fischer, der Mann von Ceram und ich stiegen aus, wateten zu dem Motorboot und kletterten hinein. Wie sich herausstellte, handelte es sich zufällig um ein Fischerboot, das der Familie des chinesischen Fischers gehörte. Es war zum Fischen unterwegs gewesen, hatte unsere beiden Besatzungsmitglieder gesehen, die mit den Rettungsringen geschwommen waren, hatte sie aufgenommen, dann nach unserem gekenterten Kanu gesucht und es gefunden und die schwimmenden, aber immer noch am Kanu befestigten Gepäckstücke (darunter meine Koffer, aber nicht Franz’ Gepäck) an Bord genommen. Wir blieben in dem Motorboot, das nun langsam Kurs auf das Festland von Neuguinea nahm. Den Motorbootfahrern erzählten wir von den drei Männern aus dem ersten gekenterten Rettungskanu, die wir im Wasser rufen gehört hatten. Als wir aber ungefähr die Stelle erreichten, an der wir sie gehört hatten, fuhr das Motorboot geradewegs weiter, ohne zu kreisen und ohne dass jemand rief. Später erzählte mir Franz, die Fahrer hätten ihm erklärt, dass die drei Männer aus dem gekenterten Kanu vermutlich irgendwie das Ufer erreicht hätten.
Die Fahrt mit dem Motorboot zum Festland dauerte ungefähr eineinhalb Stunden. Ich hatte kein Hemd mehr an und zitterte. Als wir gegen 22 Uhr landeten, erwartete uns an der Anlegestelle auf dem Festland eine Menschenmenge – die Nachricht von unserem Unfall war uns vorausgeeilt. Ich wurde sofort auf eine kleine ältere Frau in der Menge aufmerksam, die nach ihrem Äußeren vermutlich aus Java stammte. Von Schauspielern in Filmen abgesehen, habe ich in meinem ganzen Leben nie einen so heftigen Gefühlsausdruck in einem Gesicht gesehen. Offensichtlich war sie überwältigt von einer Mischung aus Trauer, Entsetzen und Unglauben, dass etwas Entsetzliches geschehen war, außerdem war sie völlig erschöpft. Die Frau trat aus der Menge und fing an, uns auszufragen. Wie sich herausstellte, war sie die Mutter des Mannes aus Java, der in dem ersten, gekenterten Segelkanu gesessen hatte.
Den nächsten Tag verbrachte ich in einem kleinen Gästehaus, wo ich das Salzwasser aus meinen Koffern und ihrem Inhalt spülte. Meine Ausrüstung – Ferngläser, Tonbandgeräte, Höhenmesser, Bücher und Schlafsack – waren zwar ruiniert und nicht mehr zu gebrauchen, ich konnte aber meine Kleidung retten. Franz hatte alles verloren, was er bei sich hatte. Unter den gegebenen Umständen hatten wir keine Möglichkeit, die
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