Vermächtnis
hatten immer noch keine Spuren von Nomaden entdeckt. In den verbleibenden 17 Tagen würden wir reichlich Zeit haben, festzustellen, welche Gebirgsvogelarten hier lebten und welche nicht. Gumini und ich stiegen gutgelaunt unseren neuen Weg hinunter und traten aus dem Wald auf die kleine, offene Fläche auf dem Bergrücken über unserem Lager, die ich für einen alten Erdrutsch gehalten hatte.
Plötzlich blieb Gumini stehen, bückte sich und starrte gebannt auf irgendetwas am Boden. Als ich mich erkundigte, was er so interessant fand, sagte er nur: »Sieh mal«, und zeigte auf etwas. Dieses Etwas war nicht mehr als ein kleiner, einen knappen Meter hoher Pflanzenstiel oder Baumsprössling mit ein paar Blättern. Ich sagte: »Das ist nur ein sehr junger Baum. Sieh mal, hier auf der Lichtung wachsen überall junge Bäume. Was ist an diesem so Besonderes?«
»Nein«, erwiderte Gumini, »das ist kein junger Baum. Es ist ein Stock, den jemand in den Boden gesteckt hat.« Ich war anderer Ansicht: »Warum glaubst du das? Das ist doch nur ein Sprössling, der aus dem Boden herauswächst.« Statt zu antworten, griff Gumini nach dem Stiel und zog daran. Er löste sich leicht aus dem Boden, ohne dass man mit großer Kraft Wurzeln hätte abreißen oder herausziehen müssen. Als er ihn hochgehoben hatte, sahen wir, dass der Stock am unteren Ende keine Wurzeln trug, sondern sauber abgebrochen war. Ich dachte, Gumini hätte die Wurzeln vielleicht beim Herausziehen abgerissen, aber er grub rund um das Loch, das der Stock hinterlassen hatte, den Boden auf und zeigte mir, dass dort keine abgerissenen Wurzeln waren. Den abgebrochenen kleinen Stock musste jemand in den Boden gesteckt haben, wie er behauptet hatte. Wie war er dorthin gekommen, und wer hatte ihn hineingesteckt?
Wir blickten zu den kleinen Bäumen hinauf, die sich ungefähr fünf Meter über uns erhoben. »Von dem Baum da oben muss ein Zweig heruntergefallen sein, und dann ist er im Boden steckengeblieben«, vermutete ich. Aber Gumini widersprach: »Wenn der Zweig abgebrochen und heruntergefallen ist, wird er wahrscheinlich nicht gerade mit dem abgebrochenen Ende nach unten und nach oben weisenden Blättern auf dem Boden gelandet sein. Außerdem ist es ein leichter Zweig; er ist nicht so schwer, dass er sich mehrere Zentimeter tief in den Boden bohren konnte. Für mich sieht das so aus, als hätte ein Mensch ihn abgebrochen und mit dem scharfen, abgebrochenen Ende nach unten und den Blättern nach oben in den Boden gesteckt. Das ist ein Zeichen.«
Ich spürte, wie ich Gänsehaut bekam und rot wurde, als ich daran dachte, wie Robinson Crusoe auf einer angeblich unbewohnten Insel an Land gespült wurde und dann plötzlich auf die Fußspur eines Menschen traf. Gumini und ich setzten uns hin, hoben den Stock auf und sahen uns um. Eine ganze Stunde saßen wir dort und unterhielten uns über verschiedene Möglichkeiten. Wenn es wirklich ein Mensch getan hatte, warum gab es dann außer diesem abgebrochenen Stock keine anderen Spuren für die Gegenwart von Menschen? Wenn ein Mensch ihn in den Boden gesteckt hatte, wie lange war es her? Heute war es nicht gewesen, denn die Blätter waren bereits leicht verwelkt. Sehr lange konnte der Zeitpunkt aber auch nicht zurückliegen, denn die Blätter waren nicht eingeschrumpft und trocken, sondern noch grün. War diese offene Fläche wirklich ein überwachsener Erdrutsch, wie ich angenommen hatte? Vielleicht war sie ja auch ein verwilderter alter Garten. Immer wieder kam ich auf meine Überzeugung zurück, dass kein Nomade vor wenigen Tagen von einer mehr als 40 Kilometer entfernten Hütte hierhergewandert war, den Stock abgebrochen und in die Erde gesteckt hatte und dann zurückgekehrt war, ohne irgendwelche anderen Spuren zu hinterlassen. Gumini kam immer wieder auf seinen Gedanken zurück, dass ein abgebrochener Stock sich nicht selbst so in den Boden steckt, wie ein Mensch es getan hätte.
Wir gingen das kurze Stück zurück ins Lager zu den anderen Neuguineern und erzählten ihnen, was wir gefunden hatten. Niemand anderes hatte irgendeinen Hinweis auf die Gegenwart von Menschen entdeckt. Nachdem ich jetzt in diesem Paradies war, von dem ich ein ganzes Jahr lang geträumt hatte, wollte ich nicht einige Tage später beim ersten Überflug die rote Matratze als Notsignal auslegen, nur weil ein Stock unerklärlicherweise im Boden gesteckt hatte. Das hätte geheißen, die konstruktive Paranoia zu weit zu treiben. Immer wieder sagte ich
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