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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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wie unvorstellbar sie während der Menschheitsgeschichte nahezu überall auf der Welt waren und in manchen Regionen noch heute sind. Um deutlich zu machen, welchen Bedingungen der Zugang zu Land traditionell unterlag, möchte ich meine Erfahrungen beim Besuch eines Bergdorfes in Neuguinea schildern. Solche traditionellen Bedingungen bilden die Kulisse, wenn man Krieg und Frieden, Kindheit und Alter, Gefahren und alle anderen Aspekte traditioneller Gesellschaften verstehen will, mit denen wir uns in diesem Buch noch beschäftigen werden. 
    Ich war in das Dorf gekommen, weil ich eine Bestandsaufnahme der Vögel auf einem Bergrücken machen wollte, der sich unmittelbar südlich davon erhob. Am zweiten Tag nach meiner Ankunft boten einige Dorfbewohner mir an, mich über einen ausgetretenen Pfad zum Kamm des Bergrückens zu führen, damit ich mir dort einen Lagerplatz für meine Untersuchungen aussuchen konnte. Der Pfad stieg oberhalb des Dorfes zwischen Gärten an und führte dann in einen hohen Primärwald. Nachdem wir eineinhalb Stunden steil bergauf gestiegen waren, kamen wir an einer verlassenen Hütte vorüber. Sie stand mitten in einem verwilderten Garten knapp unterhalb der Kammlinie, wo unser Aufstiegspfad in einer T-Kreuzung endete. Rechts von der Einmündung setzte sich ein breiter Weg entlang des Bergkammes fort.
    Nachdem ich auf diesem Weg ein paar hundert Meter gegangen war, suchte ich mir einen Lagerplatz unmittelbar nördlich der Kammlinie aus, also auf der Seite in Richtung des Dorfes meiner neuen Freunde. Auf der anderen Seite, südlich des Kammes und des Weges, fiel der Bergrücken sanft ab; dort zog sich ein Graben durch den hohen Wald, und von unten konnte ich das Geräusch eines Baches hören. Ich war begeistert, dass ich einen so schönen und bequemen Platz gefunden hatte: Er lag auf der höchsten Erhebung im Umkreis und bot deshalb die beste Möglichkeit, auch jene Vogelarten ausfindig zu machen, die in großer Höhe leben. Er ermöglichte sehr einfach den Zugang zu sanft geneigtem Gelände zur Vogelbeobachtung, und in der Nähe gab es Wasser zum Trinken, Kochen, Waschen und Baden. Also erklärte ich meinen Begleitern, ich würde am nächsten Tag zu dem Lagerplatz umziehen und zusammen mit zwei Männern, die mich auf Vögel aufmerksam machen und das Lager in Ordnung halten sollten, ein paar Tage dort bleiben.
    Meine Freunde nickten zustimmend, bis ich erwähnte, dass nur zwei Männer bei mir im Lager bleiben sollten. An dieser Stelle schüttelten sie den Kopf. Sie behaupteten steif und fest, dies sei ein gefährliches Gebiet und mein Lager müsse von vielen Bewaffneten geschützt werden. Was für eine entsetzliche Vorstellung für einen Vogelbeobachter! Wenn es viele Männer waren, würden sie zwangläufig Lärm machen, sich ständig unterhalten und die Vögel verscheuchen. Warum, so erkundigte ich mich, brauchte ich eine so große Begleitmannschaft, und was war an diesem wunderschönen, harmlos aussehenden Wald so gefährlich?
    Die Antwort kam prompt: Am Fuß der anderen (südlichen) Seite des Bergrückens seien die Dörfer böser Menschen; sie wurden als Flussleute bezeichnet und waren die Feinde meiner Freunde aus den Bergen. Flussleute töteten die Gebirgsleute meistens nicht im offenen Kampf mit Waffen, sondern vor allem mit Gift und Zauberei. Aber der Urgroßvater eines jungen Menschen aus den Bergen sei mit Pfeilen erschossen worden, als er ein Stück vom Bergdorf entfernt in seiner Gartenhütte schlief. Der älteste Mann, der bei unserem Gespräch anwesend war, konnte sich noch erinnern: Er hatte als Kind die Leiche des Urgroßvaters gesehen. Die Pfeile steckten noch darin, als man ihn ins Dorf brachte, die Leute hatten um den Toten geweint, und er selbst hatte Angst gehabt.
    Hatten wir denn, so erkundigte ich mich, das »Recht«, oben auf dem Bergrücken ein Lager einzurichten? Darauf erwiderten die Bergbewohner, die Kammlinie selbst sei die Grenze zwischen ihrem Gebiet am Nordhang und dem Revier der bösen Flussleute am Südabhang. Aber die Flussleute beanspruchten auch ein Stück vom Land der Bergbewohner auf der Nordseite, jenseits des Bergkammes. Ob ich mich noch an die verlassene Hütte und den verwilderten Garten unmittelbar unterhalb des Kammes erinnerte? Diese Hütte und der Garten seien von den bösen Flussleuten angelegt worden, weil sie damit ihren Anspruch auf das Land nicht nur im Süden, sondern auch am Nordhang des Bergrückens anmelden wollten.
    Nach meinen früheren

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