Vermächtnis
zentralen Staatsgewalt und ihrer Justiz lösen traditionelle Kleingesellschaften ihre Konflikte auf zweierlei Weise: Die eine Methode ist stärker auf Versöhnung ausgerichtet als in einer staatlichen Gesellschaft, die andere ist gewalttätiger. Die friedliche Konfliktlösung (Kapitel 2 ) mache ich an einem Vorfall deutlich, bei dem ein Kind in Neuguinea durch einen Unfall ums Leben kam; hier einigten sich die Eltern des Kindes und die Verwandten dessen, der es getötet hatte, innerhalb weniger Tage auf Schadenersatz und emotionale Versöhnung. Solche traditionellen Schadenersatzprozesse haben nicht das Ziel, ein Urteil über Recht und Unrecht zu fällen, sondern sie sollen in einer kleinen Gesellschaft, deren Mitglieder sich während ihres gesamten weiteren Lebens immer wieder begegnen werden, eine Beziehung oder Nicht-Beziehung wieder herstellen. Diese friedliche Form der traditionellen Konfliktlösung betrachte ich im Kontrast zur Funktion der Gesetze in Staatsgesellschaften: Hier handelt es sich häufig um einen langwierigen, von Abneigung geprägten Prozess, die Beteiligten sind häufig Fremde, die einander nie wieder begegnen werden, im Mittelpunkt steht nicht die Wiederherstellung einer Beziehung, sondern das Urteil über Recht und Unrecht, und der Staat hat seine eigenen Interessen, die nicht unbedingt mit denen des Opfers übereinstimmen. Für einen Staat ist eine amtliche Justiz unabdingbar. Die traditionelle, friedliche Konfliktlösung hat aber möglicherweise einige Aspekte, die man auch mit großem Nutzen in staatliche Justizsysteme integrieren könnte.
Wird ein Konflikt in einer kleinen Gesellschaft nicht friedlich zwischen den Beteiligten beigelegt, bleibt als Alternative nur Gewalt oder Krieg. Eine staatliche Justiz, die hier eingreifen könnte, gibt es nicht. Ohne starke politische Führung und ohne den staatlichen Anspruch auf das Gewaltmonopol führt Gewalt in der Regel zu einem Kreislauf von Rachemorden. Mein kurzes Kapitel 3 macht die traditionelle Kriegsführung deutlich. Zu diesem Zweck beschreibe ich einen scheinbar winzigen Krieg zwischen den Völkern der Dani im westlichen Hochland von Neuguinea. In dem längeren Kapitel 4 gebe ich dann einen Überblick über die traditionelle Kriegsführung auf der ganzen Welt; hier untersuche ich mehrere Fragen: Hat sie es wirklich verdient, als Krieg definiert zu werden? Warum fordert sie häufig einen proportional so hohen Anteil an Todesopfern? Wie unterscheidet sie sich von staatlicher Kriegsführung? Und warum kommen Kriege bei manchen Völkern häufiger vor als bei anderen?
Der dritte Teil des Buches besteht aus zwei Kapiteln über die beiden Enden unseres Lebenszyklus: die Kindheit (Kapitel 5 ) und das Alter (Kapitel 6 ). Es gibt auf der Welt ein breites Spektrum traditioneller Methoden der Kindererziehung: Manche Gesellschaften agieren repressiver, andere lässiger, als es in den meisten Staatsgesellschaften toleriert wird. Dennoch tauchen manche Themen in einem Überblick über die traditionelle Kindererziehung immer wieder auf. Wer dieses Kapitel liest, wird manche Methoden der traditionellen Kindererziehung vermutlich bewundern, über andere jedoch entsetzt sein und sich dann fragen, ob man manche bewundernswerten Praktiken vielleicht in unser eigenes Repertoire des Umgangs mit Kindern aufnehmen kann.
Was die Behandlung älterer Menschen angeht (Kapitel 6 ), so sind manche traditionellen Gesellschaften gezwungen, die Alten zu vernachlässigen, auszusetzen oder zu töten. Dies gilt insbesondere für Nomaden und Gesellschaften in einer besonders unwirtlichen Umwelt. Andere ermöglichen ihren älteren Menschen ein weitaus befriedigenderes und produktiveres Leben als die meisten westlichen Gesellschaften. Zu den Faktoren, die zu dieser Variationsbreite beitragen, gehören Umweltbedingungen, die Nützlichkeit und Macht älterer Menschen sowie die Werte und Regeln der jeweiligen Gesellschaft. Die stark gestiegene Lebenserwartung älterer Menschen in der modernen Gesellschaft und ihre scheinbar verminderte Nützlichkeit haben für uns zu einer Tragödie geführt; hier kann das Beispiel traditioneller Gesellschaften, die ihren älteren Menschen ein befriedigendes, nützliches Leben ermöglichen, zu Verbesserungen beitragen.
Die beiden Kapitel des vierten Teils handeln von Gefahren und unserer Reaktion darauf. Zunächst berichte ich in Kapitel 7 über die scheinbar oder tatsächlich gefährlichen Erlebnisse, die ich in Neuguinea
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