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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Mann darauf sitzen kann (Abb.  13 ) . Während eines großen Teils des Tages halten die Männer abwechselnd auf den Türmen Wache, und ihre Kameraden sitzen unten am Turm, um ihn und den Beobachter zu bewachen. Dieser sucht das Gelände nach Feinden ab, die sich heimlich anschleichen wollen, und löst bei einem Überraschungsangriff Alarm aus.
    Ein anderes Beispiel sind die Iñupiat in Alaska (Abb.  9 ) . Sie gliedern sich in zehn Gruppen mit exklusiven Territorien. Wenn Personen aus einem Territorium erwischt wurden, wie sie ein anderes betraten, wurden sie regelmäßig getötet, es sei denn, sie konnten beweisen, dass sie mit dem Eigentümer des Territoriums, auf dem man sie gestellt hatte, verwandt waren. Die beiden häufigsten Gründe für ein solches unerlaubtes Betreten waren die Jagd auf Wild – Jäger überschritten die Grenze, weil sie hinter einem Rentier her waren – und die Jagd auf Robben, bei der eine Eisscholle, auf der Jäger standen, abgebrochen und abgetrieben war. Wenn das Eis im zweiten Fall wieder an die Küste trieb und die Jäger sich dann in einem fremden Territorium befanden, wurden sie getötet. Für uns, die wir nicht zu den Iñupiat gehören, erscheint so etwas grausam und ungerecht: Die armen Jäger hatten ohnehin bereits ein großes Risiko auf sich genommen, als sie sich auf das schwimmende Eis begaben, wo sie ertrinken oder aufs offene Meer getrieben werden konnten, und wenn sie dann Glück hatten und wieder an die Küste getrieben wurden – passiv von einer Meeresströmung und ohne jede Absicht, fremdes Gebiet zu betreten –, wurden sie dennoch gerade im Augenblick ihrer Rettung vor dem Ertrinken oder Abtreiben umgebracht. Aber so waren bei den Iñupiat die Regeln. Dennoch waren die Territorien auch bei den Iñupiat nicht völlig abgeschottet: Gelegentlich erhielten Außenstehende die Erlaubnis, fremdes Territorium zu einem bestimmten Zweck wie dem Besuch eines sommerlichen Handelsmarktes zu betreten oder es aus einem anderen bestimmten Grund zu durchqueren, beispielsweise wenn sie eine andere Gruppe, die jenseits des durchquerten Gebietes lebte, besuchen oder überfallen wollten.
    Wenn wir Beispiele für Gesellschaften sammeln, die (wie meine Freunde aus den Bergen, die Dani oder die Iñupiat) zu dem Extrem der sich gegenseitig ausschließenden, verteidigten Territorien neigen, so stellen wir fest, dass solche Verhältnisse aus der Kombination von vier Voraussetzungen erwachsen. Erstens müssen verteidigte Territorien eine so große und dichte Bevölkerung haben, dass einige Personen übrig sind und ihre Zeit gezielt zur Bewachung der Grenzen einsetzen können; anderenfalls müsste die Bevölkerung sich darauf verlassen, dass jeder während der normalen Nahrungsbeschaffung die Augen offen hält und auf Eindringlinge achtet. Zweitens setzen exklusive Territorien eine produktive, stabile, berechenbare Umwelt voraus, in der die Besitzer des Territoriums damit rechnen können, alle oder fast alle benötigten Ressourcen zu finden, so dass sie ihr Gebiet selten oder nie verlassen müssen. Drittens muss es in dem Territorium wertvolle ortsfeste Ressourcen oder Kapitalverbesserungen geben, damit es sich lohnt, sie zu verteidigen oder dafür zu sterben. Das können produktive Gärten oder Obstbaumplantagen sein, aber auch Fischwehre oder Bewässerungsgräben, deren Bau und Instandhaltung großen Aufwand erfordern. Und schließlich muss die Gruppenzugehörigkeit relativ konstant sein, und Nachbargruppen müssen sich im Wesentlichen abgrenzen, so dass zwischen den Gruppen kaum Wanderungsbewegungen stattfinden – die einzige Ausnahme bilden dabei unverheiratete junge Leute (Frauen häufiger als Männer), die ihre Ursprungsgruppe verlassen und in eine andere Gruppe einheiraten.
    Ob diese vier Voraussetzungen erfüllt sind, können wir an den Gruppen beobachten, die ich gerade im Zusammenhang mit dem Extrem der einander ausschließenden Territorien und bewachten Grenzen erwähnt habe. Meine Freunde aus den Bergen Neuguineas stecken beträchtlichen Aufwand in ihre Ganzjahresgärten, Schweine und Wälder, die ihnen traditionell alles Benötigte lieferten. Das Roden von Wäldern und die Anlage von Gärten sind für sie mit viel Arbeit verbunden; noch stärker gilt das für die Dani im Westen Neuguineas, die raffinierte Systeme von Gräben anlegen und instand halten, um damit ihre Gärten zu be- und entwässern. Die Iñupiat und Ainu besiedeln ganzjährig reichhaltige Territorien, in denen

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