Vermächtnis
über diese Tatsachen nachgedacht, ihre Lebensweise entsprechend geändert und damit sowohl ihre Lebensdauer verlängert als auch ihre Lebensqualität verbessert. Wenn solche Krankheiten uns also umbringen, geschieht es mit unserer eigenen Erlaubnis.
Der Epilog schließlich führt uns noch einmal auf den Flughafen von Port Moresby, auf dem mein Prolog begonnen hat. Erst wenn ich nach mehreren Monaten in Neuguinea wieder auf dem Flughafen von Los Angeles eintreffe, tauche ich emotional wieder in die amerikanische Gesellschaft ein, in der ich zu Hause bin. Trotz der krassen Unterschiede zwischen Los Angeles und dem Urwald Neuguineas lebt ein großer Teil der Welt, wie sie bis gestern war, in unserem Körper und unseren Gesellschaften weiter. Die großen Veränderungen der jüngeren Zeit begannen selbst in der Region der Erde, in der sie zuerst auf der Bildfläche erschienen, erst vor 11 000 Jahren, und in den bevölkerungsreichsten Regionen Neuguineas liegen ihre Anfänge nur wenige Jahrzehnte zurück. In den wenigen Bereichen Neuguineas und des Amazonasgebiets, die bisher keinen Kontakt zur Außenwelt hatten, haben sie noch kaum eingesetzt. Uns jedoch, die wir in modernen Staatsgesellschaften aufgewachsen sind, erscheinen die modernen Lebensbedingungen so beherrschend und selbstverständlich, dass wir die grundlegende Andersartigkeit traditioneller Gesellschaften kaum bemerken, wenn wir ihnen nur einen kurzen Besuch abstatten. Deshalb nennt der Epilog noch einmal einige solche Unterschiede, wie sie mir bei der Ankunft in Los Angeles auffallen und wie sie amerikanischen Kindern auffallen, aber auch Dorfbewohnern aus Neuguinea und Afrika, die in traditionellen Gesellschaften aufgewachsen und dann als Teenager oder Erwachsene in den Westen gezogen sind.
Traditionelle Gesellschaften stellen Tausende von jahrtausendealten natürlichen Experimenten für die Organisation menschlichen Lebens dar. Wir können diese Experimente nicht dadurch wiederholen, dass wir heute Tausende von Gesellschaften gestalten, um dann Jahrzehnte zu warten und die Ergebnisse zu beobachten; wir müssen von den Gesellschaften lernen, die das Experiment bereits hinter sich haben. Wenn wir etwas über die Aspekte des traditionellen Lebens in Erfahrung bringen, sind darunter manche, deren Beseitigung uns ein Gefühl der Erleichterung verschafft und die uns lehren, unsere eigene Gesellschaft höher zu schätzen. Andere werden wir wahrscheinlich voller Neid betrachten, ihren Verlust bedauern oder fragen, ob wir gezielt manche davon übernehmen oder auf uns selbst zuschneiden können. So sind wir sicher neidisch auf das traditionelle Fehlen der nicht übertragbaren Krankheiten, die sich mit der westlichen Lebensweise verbinden. Wenn wir etwas über traditionelle Konfliktlösung, Kindererziehung, Behandlung älterer Menschen, Aufmerksamkeit gegenüber Gefahren und regelmäßige Mehrsprachigkeit erfahren, gelangen wir vielleicht zu dem Schluss, dass manche dieser traditionellen Aspekte auch für uns wünschenswert wären und dass wir sie uns zu eigen machen können.
Zumindest aber hoffe ich, dass Sie meine Faszination für die unterschiedlichen Wege teilen werden, auf denen andere Völker ihr Leben organisiert haben. Über diese Faszination hinaus gelangt der eine oder andere vielleicht zu der Entscheidung, dass ein Teil dessen, was dort so gut funktioniert, auch für uns als Individuen oder als Gesellschaft funktionieren könnte.
Teil I Wegbereitung durch Raumaufteilung
Kapitel 1 Freunde, Feinde, Fremde und Kaufleute
Eine Grenze
In großen Teilen der Welt können die Bürger vieler Staaten heute ungehindert reisen. In unserem eigenen Land unterliegen wir keinen Beschränkungen. Wenn wir die Grenze zu einem anderen Staat überschreiten wollen, kommen wir entweder unangemeldet hin und zeigen einfach unseren Pass vor, oder wir müssen uns im Voraus ein Visum besorgen, können uns dann aber in dem anderen Land ebenfalls ungehindert bewegen. Um uns auf Straßen und auf öffentlichen Flächen fortzubewegen, müssen wir nicht um Erlaubnis fragen, und in manchen Staaten gewähren die Gesetze sogar den Zugang zu manchen Privatgrundstücken. In Schweden beispielsweise kann ein Grundbesitzer die Öffentlichkeit zwar von seinen Feldern und Gärten fernhalten, nicht aber aus seinen Wäldern. Jeden Tag begegnen uns Tausende von Fremden, ohne dass wir uns dabei etwas denken. Alle diese Rechte halten wir für selbstverständlich. Wir denken nicht darüber nach,
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