Vermächtnis
verständlich und/oder kontrollierbar, und denen wir eine Bedeutung beimessen, welche eine Art Bezug zu den entscheidenden Handlungen und Ereignissen einschließt, die mit der Vorstellung des Menschen von der Existenz einer »übernatürlichen« Ordnung zu tun hat, von der man glaubt und fühlt, dass sie eine grundlegende Bedeutung für die Stellung des Menschen im Universum hat und deren Werte seinem Schicksal als Einzelner und in der Beziehung zu seinen Mitmenschen einen Sinn gibt.« (Talcott Parsons)
»Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.« (Karl Marx)
Können wir im Notfall das Problem, Religion zu definieren, auf die gleiche Weise umgehen, wie man häufig die Definition von Pornographie umgeht? Wir sagen einfach: »Ich kann Pornographie nicht definieren, aber wenn ich es sehe, weiß ich, dass es Pornographie ist!« Bei der Religion funktioniert leider nicht einmal dieser Plan B; die Gelehrten sind sich nicht einig, ob sie einige weitverbreitete, allgemein bekannte Strömungen als Religionen bezeichnen sollen. So kreist beispielsweise eine alte Diskussion unter Religionsexperten um die Frage, ob man Buddhismus, Konfuzianismus und Shintoismus als Religionen bezeichnen soll; derzeit geht der Trend dahin, im Buddhismus eine Religion zu sehen, im Konfuzianismus aber nicht. Vor ein oder zwei Jahrzehnten dagegen galt der Konfuzianismus noch als Religion, heute nennt man ihn häufig eine Lebensweise oder eine säkulare Philosophie.
Diese Schwierigkeiten, Religion zu definieren, sind aufschlussreich. Sie warnen uns, dass die Phänomene, die wir unter dem Oberbegriff »Religion« einordnen, mehrere Bestandteile enthalten, die in verschiedenen Religionen, verschiedenen Gesellschaften und verschiedenen Entwicklungsstadien der Religionen unterschiedlich stark, schwach oder praktisch gar nicht ausgeprägt sind. Religion spielt in andere Phänomene hinein, die einige, aber nicht alle Attribute besitzen, die man in der Regel mit Religion in Verbindung bringt. Das ist der Grund der Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob der Buddhismus, der in der Regel als eine der vier größten Weltreligionen gilt, tatsächlich eine Religion oder »nur« eine Lebensphilosophie ist. Die Bestandteile, die man in der Regel den Religionen zuschreibt, lassen sich in fünf Gruppen einteilen: Glaube an Übernatürliches, gemeinsame Mitgliedschaft in einer gesellschaftlichen Bewegung, aufwendige, sichtbare Beweise für die Zugehörigkeit, praktische Verhaltensregeln (»Moral«) und der Glaube, dass man übernatürliche Wesen und Kräfte (zum Beispiel durch Gebete) dazu bewegen kann, in den Lauf der Welt einzugreifen. Wie wir aber noch genauer erfahren werden, wäre es nicht sinnvoll, Religionen durch die Kombination aller fünf Attribute zu definieren oder einem Phänomen, dem eines davon fehlt, die Bezeichnung »Religion« abzusprechen, denn damit würden wir einige geistige Strömungen, die allgemein als Religionen anerkannt sind, ausschließen.
Das erste dieser fünf Attribute bildet die Grundlage für die Definition der Religion, die ich meinen Studienanfängern an der University of California anbot, als ich zum ersten Mal eine Vorlesung in Kulturgeographie hielt. Ich formulierte sie so: »Religion ist der Glaube an eine postulierte, übernatürliche Kraft, für deren Existenz uns unsere Sinne keinen Beleg liefern können, die aber zur Erklärung von Dingen herangezogen wird, für die unsere Sinne uns Belege liefern.« Diese Definition hat zwei Vorteile: Der Glaube an übernatürliche Kräfte ist tatsächlich eines der am weitesten verbreiteten charakteristischen Merkmale von Religionen; und die Erklärung ist, wie wir später noch genauer erfahren werden, eine der wichtigsten Entstehungsursachen und ersten Funktionen von Religionen. Die meisten Religionen postulieren tatsächlich die Existenz von Göttern, Geistern und anderen Handlungskräften, die wir als »übernatürlich« bezeichnen, weil sie oder ihre nachweisbaren Wirkungen in der Natur nicht unmittelbar wahrzunehmen sind. (Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werde ich das Wort »übernatürlich« immer wieder in diesem neutralen Sinn verwenden, ohne damit die abschätzigen Nebenbedeutungen zu meinen, die man manchmal mit dem Begriff verbindet.) Viele Religionen gehen noch einen Schritt weiter und postulieren die Existenz einer ganzen übernatürlichen
Weitere Kostenlose Bücher