Vermächtnis
(Azande)
Männer, die ihr Leben im Kampf für die Religion opfern, werden in einen Himmel gebracht, der von schönen Jungfrauen bevölkert ist. (Islam)
Auf demTepeyac-Hügel nördlich von Mexico City erschien die Jungfrau Maria 1531 einem christianisierten Indianer, sprach zu ihm auf Nahuatl (die Aztekensprache, die zu jener Zeit dort verbreitet gesprochen wurde) und versetzte ihn in die Lage, Rosen in einem Wüstengebiet zu pflücken, wo normalerweise keine Rosen wachsen. (Mexikanischer Katholizismus)
Auf einem Berggipfel nicht weit von Manchester Village im Westen des Staates New York erschien der Engel Moroni am 21 . September 1823 einem Mann namens Joseph Smith und offenbarte ihm vergrabene goldene Tafeln, die als verlorenes Buch der Bibel, das Buch Mormon, auf ihre Übersetzung warteten. (Mormonen)
Ein übernatürliches Wesen gab seiner auserwählten Volksgruppe im Nahen Osten ein Stück Wüste, das für immer seine Heimat sein sollte. (Judentum)
In den 1880 er Jahren erschien Gott während einer Sonnenfinsternis einem Paiute-Indianer namens Wovoka und verkündete ihm, in zwei Jahren würden die Büffel wieder die großen Ebenen füllen und die weißen Männer würden verschwinden, vorausgesetzt, die Indianer vollzogen ein als Geistertanz bezeichnetes Ritual.
Kein anderes Merkmal der Religionen schafft eine so große Kluft zwischen Gläubigen und modernen, säkularen Menschen: Diesen erscheint schon die Vorstellung, jemand könne solche Überzeugungen haben, verblüffend. Kein anderes Merkmal schafft aber auch eine größere Kluft zwischen den Anhängern der verschiedenen Religionen, die jeweils fest an ihre eigenen Überzeugungen glauben, es aber für absurd halten, dass die Anhänger anderer Religionen andersartige Überzeugungen hegen. Warum ist der Glaube an Übernatürliches dennoch ein so allgemein verbreitetes Merkmal von Religionen?
Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Vermutung geäußert, dass der religiöse Glaube an Übernatürliches ebenso ein aus Unkenntnis geborener Aberglaube ist wie der nichtreligiöse Glaube an Übernatürliches – er macht demnach nur deutlich, dass das menschliche Gehirn sich selbst täuschen kann und dann alles glaubt. Wir alle können uns einen nichtreligiösen Glauben an Übernatürliches vorstellen, dessen mangelnde Plausibilität sofort auf der Hand liegt. Viele Europäer glauben, der Anblick einer schwarzen Katze sei ein Vorbote von Unglück, in Wirklichkeit sind aber schwarze Katzen recht verbreitet. Wenn man immer wieder notiert, ob der Anblick einer schwarzen Katze in einer Region mit dichter Katzenpopulation im Laufe der nächsten Stunde ein bestimmtes Maß an Unglück nach sich gezogen hat oder nicht, und wenn man dann den statistischen Chi-Quadrat-Test anwendet, kann man sich schnell davon überzeugen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Schwarze-Katzen-Hypothese wahr ist, bei unter eins zu 1000 liegt. Manche Gruppen von Tieflandbewohnern in Neuguinea glauben, der hübsche Pfeifgesang eines kleinen, als
Lowland Mouse-Babbler
bezeichneten Vogels sei eine Warnung, dass jemand vor kurzem gestorben sei, aber diese Spezies gehört zu den am weitesten verbreiteten und am häufigsten singenden Arten in den Tieflandwäldern Neuguineas. Würde der Glaube der Wahrheit entsprechen, müsste die Bevölkerung der Region innerhalb weniger Tage sterben, und doch sind meine Freunde in Neuguinea von der Vorstellung, der Gesang des Vogels sei ein schlechtes Omen, ebenso überzeugt wie die Europäer von ihrer Angst vor schwarzen Katzen.
Ein anderer nichtreligiöser Aberglaube ist erstaunlicher, weil Menschen auch heute noch Geld in diese falsche Überzeugung stecken: das Rutengehen. Nach dieser Überzeugung, die sich in Europa vor über 400 Jahren durchsetzte und manchen Berichten zufolge schon vor Christi Geburt existierte, gibt die Bewegung eines gegabelten Astes, den ein »Rutengänger« über das Gelände trägt, Hinweise auf die Lage und manchmal auch die Tiefe unsichtbarer unterirdischer Wasseradern und zeigt damit an, wo man einen Brunnen graben soll (Abb. 46 ) . Kontrolluntersuchungen belegen, dass der Erfolg der Rutengänger bei der Lokalisierung unterirdischer Wasservorkommen nicht größer ist, als es dem Zufall entspricht, aber in Regionen, in denen auch Geologen nur unter Schwierigkeiten die Lage unterirdischer Wasservorkommen voraussagen können, bezahlen viele Grundbesitzer den Rutengängern dennoch Geld für ihre Suche, und dann wenden sie noch mehr
Weitere Kostenlose Bücher