Vermächtnis
Geld für das Graben eines Brunnens auf, der mit großer Wahrscheinlichkeit kein Wasser liefern wird. Hinter solchen Überzeugungen steht das psychologische Prinzip, dass wir uns an Treffer erinnern und die Fehlschüsse vergessen; ganz gleich, welchen Aberglauben wir hegen, er wird also wegen der Treffer, an die wir uns erinnern, schon durch die geringfügigsten Anhaltspunkte bestätigt. Ein solches Denken in Einzelfällen kommt von selbst; kontrollierte Experimente und wissenschaftliche Methoden, mit denen man zwischen zufälligen und nichtzufälligen Phänomenen unterscheiden kann, widersprechen der Intuition und sind unnatürlich – deshalb findet man sie in traditionellen Gesellschaften nicht.
Vielleicht ist also der religiöse Aberglaube genau wie der Glaube an schwarze Katzen und andere nichtreligiöse, abergläubische Überzeugungen nur ein weiterer Beleg für die Fehlbarkeit der Menschen. Verdächtig ist aber, dass das energische Festhalten am religiösen Aberglauben, der anderen nicht plausibel erscheint, ein so allgemein verbreitetes Merkmal von Religionen ist. Die Investitionen, die von den oben aufgeführten zehn Gruppen in ihre Überzeugungen gesteckt wurden, sind weitaus belastender, zeitaufwendiger und mit schwereren Folgen verbunden als die Handlungsweise von Menschen, die sich vor schwarzen Katzen fürchten und deshalb hin und wieder einen Bogen um solche Tiere machen. Dies legt die Vermutung nahe, dass religiöser Aberglaube nicht nur ein zufälliges Nebenprodukt unserer Vernunftkräfte ist, sondern eine tiefere Bedeutung hat. Was könnte das für eine Bedeutung sein?
Einer neueren Interpretation mancher Religionswissenschaftler zufolge diente der religiöse Aberglaube dazu, das eigene Engagement für die Religion zur Schau zu stellen. Alle langlebigen Menschengruppen – Fans der Boston Red Sox (zu denen auch ich gehöre), gläubige Katholiken, patriotische Japaner und andere – stehen vor dem gleichen grundsätzlichen Problem: Woran erkennt man, ob man darauf vertrauen kann, dass jemand ein Gruppenmitglied bleibt? Je mehr das eigene Leben mit dem der Gruppe verwoben ist, desto wichtiger wird es, dass man Gruppenmitglieder richtig erkennt und sich nicht von jemandem täuschen lässt, der vorübergehend einen Vorteil sucht, indem er behauptet, er teile die Ideale der Gruppe, obwohl dies nicht stimmt. Wenn jemand, der eine Fahne der Boston Red Sox trägt und deshalb als Fan des eigenen Vereins akzeptiert wurde, plötzlich nach einem Home Run der New York Yankees in Jubel ausbricht, empfinden wir das als Erniedrigung, aber nicht als lebensbedrohlich. Wenn aber ein Soldat neben uns in der Kampfformation steht und während eines feindlichen Angriffs plötzlich das Gewehr fallen lässt (oder gegen uns richtet), kann uns die Fehleinschätzung des Nachbarn das Leben kosten.
Das ist der Grund, warum es zu einer religiösen Überzeugung gehört, die Ehrlichkeit des eigenen Engagements mit so vielen aufwändigen Zurschaustellungen zu demonstrieren: Man opfert Zeit und Geld, erduldet Unannehmlichkeiten und zeigt andere Dinge, von denen später noch die Rede sein wird. Eine solche Zurschaustellung kann darin bestehen, dass man eine irrationale Überzeugung vertritt, die dem, was unsere Sinne uns sagen, widerspricht und an die Menschen, die unserer Religion nicht angehören, nie glauben würden. Wenn wir behaupten würden, der Gründer unserer Kirche sei durch normalen Geschlechtsverkehr zwischen seiner Mutter und seinem Vater gezeugt worden, wird dies auch jeder andere glauben, und wir hätten nichts getan, um das Engagement für unsere Kirche unter Beweis zu stellen. Wenn wir jedoch allen gegenteiligen Belegen zum Trotz darauf beharren, er sei durch Jungfrauengeburt zur Welt gekommen, und wenn niemand uns während unseres jahrzehntelangen Lebens von dieser irrationalen Überzeugung befreien konnte, werden unsere Glaubensgenossen ein viel größeres Vertrauen haben, dass wir bei unserer Überzeugung bleiben und unsere Gruppe nicht verlassen.
Dennoch gibt es für das, was man als religiösen Glauben an Übernatürliches anerkennen kann, Grenzen. Wie Scott Atran und Pascal Boyer unabhängig voneinander deutlich machen konnten, stellen die tatsächlichen religiös-abergläubischen Überzeugungen auf der ganzen Welt nur einen schmalen Ausschnitt aus dem Spektrum aller willkürlich-zufälligen Überzeugungen dar, die man theoretisch erfinden könnte. So gibt es, um Pascal Boyer zu zitieren, keine Religion,
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