Vermächtnis
zur richtigen Zeit herab, um der Maus den Weg abzuschneiden und sie zu fangen. Aber Tiere – selbst unsere engsten Verwandten – sind viel weniger zu vernünftigem Denken in der Lage als Menschen. Für die Grünen Meerkatzen beispielsweise, eine afrikanische Affenart, sind die am Boden lebenden Pythons wichtige natürliche Feinde. Sobald die Affen eine Python sichten, stoßen sie einen besonderen Ruf aus, und sie sind schlau genug, sofort auf einen Baum zu springen, wenn ein Artgenosse in der Nähe sie mit dem Python-Alarmruf warnt. Was für uns aber erstaunlich ist: Diese schlauen Affen bringen den Anblick einer Pythonspur im Gras nicht mit der Gefahr in Verbindung, dass eine Schlange in der Nähe sein könnte. Vergleichen wir diese schwachen geistigen Fähigkeiten der Affen einmal mit unseren eigenen Möglichkeiten: Wir wurden von der natürlichen Selektion so gestaltet, dass unser Gehirn aus kleinsten Anhaltspunkten ein Maximum an Information ableiten kann, und mit unserer Sprache können wir diese Information präzise weitergeben, auch wenn damit zwangsläufig das Risiko häufiger falscher Rückschlüsse verbunden ist.
Unter anderem schreiben wir anderen Menschen regelmäßig eine Handlungsfähigkeit zu. Wir verstehen, dass andere Menschen genau wie wir selbst Absichten haben und dass jeder Mensch anders ist. Deshalb verwenden wir die alltägliche Aktivität unseres Gehirns zu einem nicht geringen Teil darauf, einzelne andere Menschen zu verstehen und auf die von ihnen ausgehenden Signale zu achten (beispielsweise auf Gesichtsausdrücke, Tonfall und das, was sie nicht sagen oder tun). Auf diese Weise können wir voraussagen, was ein anderer möglicherweise als Nächstes tun wird, und wir finden heraus, wie wir den anderen in unserem Sinne beeinflussen können. Eine ähnliche Handlungsfähigkeit schreiben wir auch Tieren zu: Wenn !Kung-Jäger sich einem toten Beutetier nähern, an dem die Löwen fressen, achten sie auf den Bauch und das Verhalten der Löwen und leiten daraus ab, ob die Raubtiere bereits gesättigt sind und sich vertreiben lassen oder ob sie noch Hunger haben und die Stellung halten werden. Auch uns selbst schreiben wir Handlungsfähigkeit zu: Wir merken, dass unser Handeln Folgen hat, und wenn wir sehen, dass ein bestimmtes Verhalten zum Erfolg führt, ein anderes aber nicht, lernen wir, uns immer wieder erfolgsorientiert zu verhalten. Die Fähigkeit unseres Gehirns, solche Kausalzusammenhänge zu erkennen, ist der wichtigste Grund für den Erfolg unserer Spezies. An ihr liegt es, dass wir schon vor 12 000 Jahren, bevor wir Landwirtschaft, Metalle oder Schrift besaßen und noch als Jäger und Sammler lebten, die mit Abstand am weitesten verbreitete Säugetierart waren, die von der Arktis bis zum Äquator lebte und alle Kontinente mit Ausnahme der Antarktis besiedelt hatte.
Wir probieren ständig Kausalbeziehungen aus. Manche unserer traditionellen Erklärungen ermöglichten aus Gründen, die sich später als wissenschaftlich richtig erwiesen, zutreffende Voraussagen; manche machten auch richtige Voraussagen aus den falschen Gründen (zum Beispiel »diese Fischart ist tabu und du darfst sie nicht essen«, obwohl man nicht wusste, dass der Fisch giftige Substanzen enthält); und manche Erklärungen führten auch zu falschen Voraussagen. Jäger und Sammler unterstellen beispielsweise zu allgemein Handlungskräfte und weiten solche Vorstellungen auch auf Flüsse, Sonne und Mond aus, die sich ähnlich wie Menschen und Tiere bewegen können. Traditionelle Völker glauben häufig, solche unbelebten Gegenstände, die sich bewegen, seien lebendig oder würden von Lebewesen angetrieben. Auch unbeweglichen Dingen wie Blumen, einem Berg oder einem Felsen schreiben sie eine Handlungsfähigkeit zu. So etwas bezeichnen wir heute als Glauben an Übernatürliches im Gegensatz zum Natürlichen, aber traditionelle Völker treffen häufig keine solche Unterscheidung. Sie formulieren vielmehr Kausalerklärungen, deren Vorhersagewert sie beobachten: Ihre Theorie, dass die Sonne (oder ein Gott, der die Sonne in seinem Wagen transportiert) jeden Tag über den Himmel marschiert, passt zu den beobachteten Tatsachen. Sie verfügen nicht über unabhängige astronomische Kenntnisse, die sie davon überzeugen könnten, dass der Glaube an die Sonne als beseeltes, handelndes Wesen ein falscher Glaube an Übernatürliches ist. Aus ihrer Sicht ist eine solche Denkweise nicht töricht: Sie stellt die logische Ausweitung
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