Vermächtnis
ihrer Gedanken über zweifelsfrei natürliche Dinge dar.
Wenn wir mit unserer Suche nach Kausalzusammenhängen übermäßig verallgemeinern und damit geradewegs zu dem gelangen, was wir als Glauben an Übernatürliches bezeichnen, liegt das in vielen Fällen also daran, dass wir Pflanzen und unbelebten Gegenständen eine Handlungsfähigkeit zuschreiben. Eine andere Form ist die Suche nach den Folgen unseres eigenen Verhaltens. Ein Bauer fragt sich, was er dieses Mal anders gemacht hat, so dass sein früher so ertragreiches Feld plötzlich nur eine schlechte Ernte einbringt, und die Kaulong-Jäger stellen sich die Frage, was einer der Ihren falsch gemacht hat, so dass er im Wald in ein verstecktes Erdloch gestürzt ist. Wie andere traditionelle Völker, so zermartern sich auch Bauern und Jäger auf der Suche nach Erklärungen ihr Gehirn. Manche davon waren, wie wir heute wissen, wissenschaftlich korrekt, in anderen sehen wir unwissenschaftliche Tabus. Die Bauern in den Anden zum Beispiel wussten zwar nichts über Variationskoeffizienten, sie verteilten aber dennoch ihre Nutzpflanzen auf 8 bis 22 Felder (Kapitel 8 ); traditionell beteten sie wahrscheinlich zu den Regengöttern; und die Kaulong-Jäger achten sorgfältig darauf, nicht den Namen von Höhlenfledermäusen auszusprechen, wenn sie in Gebieten mit Erdlöchern solche Fledermäuse jagen. Wir haben uns heute davon überzeugt, dass die Verteilung der Felder eine wissenschaftlich begründete Methode ist, wenn man den Ertrag über einem bestimmten Mindestwert halten will, während Gebete zu Regengöttern und Tabus beim Aussprechen von Fledermausnamen wissenschaftlich unbegründeter religiöser Aberglaube sind, aber das ist rückblickende Klugheit. Für die Bauern und Jäger selbst gibt es keine Abgrenzung zwischen stichhaltigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und religiösem Aberglauben.
Eine andere Arena für überstrapazierte kausale Erklärungen sind Theorien über Krankheiten. Wenn jemand erkrankt, suchen das Opfer sowie seine Freunde und Angehörigen nach einer Erklärung für die Krankheit, genau wie wir nach Erklärungen für alle anderen wichtigen Vorkommnisse suchen. Ist sie auf etwas zurückzuführen, was der Kranke getan hat (zum Beispiel Trinken aus einer bestimmten Wasserquelle) oder was er unterlassen hat (zum Beispiel das Händewaschen vor dem Essen oder einen Geist um Hilfe zu bitten)? Lag es an der Handlung eines anderen (beispielsweise daran, dass ein anderer kranker Mensch uns angeniest hat oder dass ein Zauberer einen Fluch ausgesprochen hat)? Wie traditionelle Völker, so suchen auch wir Bewohner der Ersten Welt im Zeitalter der medizinischen Wissenschaft weiterhin nach zufriedenstellenden Erklärungen für Krankheiten. Heute glauben wir, dass das Trinken aus einer bestimmten Wasserquelle oder das Essen mit ungewaschenen Händen eine stichhaltige Erklärung für Krankheiten darstellt, während dies für den Geist, den wir nicht um Hilfe gebeten haben, nicht gilt. Zu hören, dass wir an Magenkrebs leiden, weil wir die Variante 211 des Gens PX 2 R tragen, reicht uns nicht; es ist unbefriedigend und hinterlässt ein Gefühl der Hilflosigkeit – vielleicht lag es doch eher an der Ernährung. Traditionelle Völker streben danach, Krankheiten selbst zu heilen, genau wie wir es tun, wenn die herkömmliche Therapie der Ärzte versagt. Solche traditionellen Heilmittel scheinen oftmals aus vielerlei Gründen nützlich zu sein: Die meisten Krankheiten heilen ohnehin von selbst aus; manche traditionellen pflanzlichen Heilmittel haben tatsächlich einen nachgewiesenen pharmakologischen Nutzen; das Auftreten des Schamanen am Krankenbett lindert die Ängste des Patienten und kann sich als nützliche Placebo-Therapie erweisen; wenn man eine Ursache der Krankheit benannt hat, fühlt man sich selbst dann besser, wenn es nicht die wahre Ursache ist, denn man kann etwas unternehmen, statt hilflos abzuwarten; und wenn das Opfer tatsächlich stirbt, bedeutet das unter Umständen, dass es gesündigt und ein Tabu verletzt hat oder dass ein mächtiger Zauberer verantwortlich war, den man identifizieren und töten muss.
Wieder eine andere Form unseres Strebens nach kausalen Begründungen ist die Suche nach Erklärungen für Ereignisse, über die unsere moderne Wissenschaft nur die unbefriedigende Aussage »Es gibt keine Erklärung, und man sollte nicht versuchen, eine zu finden« machen kann. Ein zentrales Problem der meisten organisierten Religionen ist
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