Vermächtnis
einer Sendung den Wert der sterbenden Sprachen verteidigt hatte. Ein paar beispielhafte Zitate:
»Was für eine ungeheure Menge an sentimentalem Unsinn! Sprachen sind ausgestorben, weil sie die Ausdrucksform todgeweihter Gesellschaften waren und nicht die intellektuelle, kulturelle und gesellschaftliche Dynamik kommunizieren konnten, die für eine dauerhafte Langlebigkeit und Weiterentwicklung notwendig sind.«
»Wie lächerlich. Die Funktion der Sprache ist die Kommunikation. Wenn niemand eine Sprache spricht, hat sie keinen Zweck. Dann könnte man ebenso gut Klingonisch lernen.«
»Die einzigen Menschen, für die 7000 Sprachen einen Nutzen haben, sind die Linguisten. Verschiedene Sprachen trennen die Menschen, eine gemeinsame Sprache vereint. Je weniger lebende Sprachen es gibt, desto besser.«
»Die Menschheit muss vereinigt werden. Nur so kommen wir voran, nicht mit kleinkarierten Stämmen, die sich untereinander nicht verständigen können. Wozu soll es gut sein, dass wir auch nur fünf Sprachen haben? Dokumentieren wir sie mit allen Mitteln, lernen wir von ihnen, was es zu lernen gibt, aber ordnen wir sie der Geschichte zu, denn dort gehören sie hin. Eine Welt, ein Volk, eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Ziel, vielleicht kommen wir dann besser zurecht.«
» 7000 Sprachen sind 6990 zuviel, wenn Sie mich fragen. Lassen wir sie ziehen.«
Menschen wie diese, die sich in ihren Zuschriften an die BBC dafür aussprechen, die meisten Sprachen zu beseitigen, nennen zwei Hauptgründe. Der eine lässt sich in einem Satz zusammenfassen: »Wir brauchen eine gemeinsame Sprache, um miteinander kommunizieren zu können.« Ja, das stimmt natürlich; verschiedene Menschen brauchen irgendeine gemeinsame Sprache, mit der sie sich verständigen können. Aber das erfordert nicht, dass man Minderheitensprachen ausrottet; es setzt nur voraus, dass jeder Sprecher einer Minderheitensprache zweisprachig ist und auch eine Mehrheitssprache beherrscht. Dänemark ist beispielsweise das siebtreichste Land der Welt und eines der zufriedensten Länder überhaupt, aber praktisch die einzigen Menschen, die der dänischen Sprache mächtig sind, sind die fünf Millionen Dänen. Das liegt daran, dass fast alle Dänen auch fließend Englisch und andere europäische Sprachen sprechen und damit ihre Geschäfte abwickeln. Dänen sind reich und mit Vergnügen Dänen, eben
weil
sie Dänisch sprechen. Wenn sie sich die Mühe machen und zweisprachig in Dänisch und Englisch werden, ist das ihre Sache. Und auch wenn Navajo-Indianer zweisprachig in Navajo und Englisch werden wollen, ist das ihre Sache. Die Navajo verlangen nicht und wünschen sich nicht einmal, dass andere Amerikaner Navajo lernen.
Der zweite wichtige Grund, warum Menschen wie die Autoren der BBC -Zuschriften sich für die Beseitigung von Sprachen einsetzten, ist der Glaube, Menschen würden andere Menschen wegen der Sprache als verschieden von sich selbst wahrnehmen, und deshalb würde Sprachenvielfalt zu Bürgerkriegen und ethnischen Spannungen führen. Die Bürgerkriege, von denen heute so viele Staaten zerrissen sind, verlaufen – so die Behauptung – entlang der Sprachgrenzen. Welchen Wert die Sprachenvielfalt auch haben mag, ihre Beseitigung ist angeblich der Preis, den wir bezahlen müssen, um dem Morden auf der ganzen Welt Einhalt zu gebieten. Ginge es auf der Welt nicht viel friedlicher zu, wenn die Kurden einfach anfangen würden, Türkisch oder Arabisch zu sprechen, wenn die Tamilen in Sri Lanka sich auf die singhalesische Sprache einlassen würden und wenn die Frankokanadier in Quebec oder die Hispanics in den Vereinigten Staaten zum Englischen wechseln?
Das hört sich nach einem stichhaltigen Argument an. Aber die unausgesprochene Vorstellung von einem einsprachigen Utopia ist falsch: Sprachunterschiede sind nicht die Hauptursache von Konflikten. Vorurteilsbeladene Menschen greifen jeden Unterschied auf, um andere abzulehnen, auch Unterschiede in Religion, Politik, ethnischer Zugehörigkeit oder Kleidung. An den schlimmsten Massenmorden in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren orthodoxe Serben und Montenegriner (die sich später entzweiten), katholische Kroaten und muslimische Bosniaken im ehemaligen Jugoslawien beteiligt: Sie schlachteten sich gegenseitig ab, obwohl alle sich der gleichen Sprache bedienten, des Serbokroatischen. In Afrika fanden die schlimmsten Massenmorde seit dem Zweiten Weltkrieg 1994 in Ruanda statt: Menschen vom Volk der Hutu
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