Vermächtnis
sie in Schule und Beruf vorankommen; und Kinder wollen ausschließlich die Mehrheitssprache lernen, um den Schulunterricht, das Fernsehen und ihre Spielkameraden zu verstehen. In den Vereinigten Staaten konnte ich diesen Prozess an Einwandererfamilien aus Polen, Korea, Äthiopien, Mexiko und vielen anderen Ländern beobachten; das Ergebnis ist immer das Gleiche: Die Kinder lernen Englisch, aber nicht die Sprache ihrer Eltern. Am Ende werden die Minderheitensprachen nur noch von alten Menschen gesprochen, bis der letzte von ihnen stirbt. Schon lange vor diesem Ende ist die Minderheitensprache verkümmert: Grammatikalische Komplexität ist verlorengegangen, Wörter sind in Vergessenheit geraten, und die Sprache hat fremden Wortschatz und fremde grammatikalische Eigenschaften in sich aufgenommen.
Unter den 7000 Sprachen der Welt sind manche weitaus stärker gefährdet als andere. Wie stark die Bedrohung ist, hängt entscheidend davon ab, ob die Sprache noch zu Hause von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird: Hört diese Weitergabe auf, ist die Sprache zum Untergang verurteilt, auch wenn vielleicht noch 90 Jahre vergehen werden, bis das letzte Kind, das die Sprache noch fließend beherrscht, und mit ihm auch die Sprache selbst, stirbt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Weitergabe von den Eltern zu den Kindern noch stattfindet, kann durch mehrere Faktoren wachsen: eine große Zahl von Sprechern der Sprache; ein hoher Anteil der Bevölkerung, der die Sprache spricht; staatliche Anerkennung der Sprache als offizielle Staats- oder Provinzsprache; die Einstellung der Sprecher gegenüber ihrer Sprache (Stolz oder Verachtung); und das Fehlen einer großen Zahl von Einwanderern, die andere Sprachen sprechen und die einheimische Sprache verdrängen (wie nach dem Einstrom der Russen nach Sibirien, der Nepalis nach Sikkim oder der Indonesier nach Indonesisch-Neuguinea).
Am besten gesichert ist die Zukunft wahrscheinlich für Sprachen, die offizielle Amtssprachen souveräner Staaten sind – deren Zahl beträgt derzeit 192 . Die meisten Staaten haben aber Englisch, Spanisch, Arabisch, Portugiesisch oder Französisch zu ihrer offiziellen Sprache gemacht, so dass nur noch 70 Staaten sich für andere Sprachen entscheiden können. Selbst wenn man Regionalsprachen mitzählt, beispielsweise die 22 Sprachen, die in der indischen Verfassung festgeschrieben sind, kommt man bestenfalls auf einige hundert Sprachen, die irgendwo auf der Welt offiziell geschützt sind. Man kann aber auch unabhängig vom offiziellen Status alle Sprachen als ungefährdet betrachten, die von mehr als einer Million Menschen gesprochen werden; auch nach dieser Definition gelangt man aber nur zu etwa 200 gesicherten Sprachen, und viele davon kommen auch in der Liste der Amtssprachen vor. Manche kleinen Sprachen sind durch offizielle staatliche Unterstützung gesichert wie das Faröische, das von den 50 000 Einwohnern der selbstverwalteten dänischen Faröer-Inseln gesprochen wird, oder das Isländische als Amtssprache der 300 000 Isländer. Umgekehrt sind manche Sprachen gefährdet, die von mehr als einer Million Menschen gesprochen werden, aber keine oder bis vor kurzem nur begrenzte staatliche Unterstützung erfahren haben; Beispiele sind das Nahuatl (mehr als 1 , 4 Millionen Sprecher in Mexiko) und das Quechua (etwa 9 Millionen Sprecher in der Andenregion). Dass aber auch staatliche Unterstützung keine Garantie für den Fortbestand ist, zeigt sich beispielsweise am Verschwinden des Irischen zugunsten des Englischen in Irland, obwohl das Irische von der Regierung stark gefördert wird und die Unterrichtssprache in den Schulen ist. Auf dieser Grundlage schätzen die Sprachforscher, dass bis zum Ende unseres Jahrhunderts nur wenige hundert der derzeit rund 7000 Sprachen auf der Erde nicht ausgestorben und nicht zum Aussterben verurteilt sein werden – vorausgesetzt, der heutige Trend setzt sich fort.
Sind Minderheitensprachen schädlich?
Das also sind die unleugbaren Tatsachen des weltweiten Sprachensterbens. Stellen wir nun einmal die gleiche Frage wie viele oder sogar die meisten Menschen: Na und? Ist es so schlimm, wenn Sprachen verlorengehen? Ist nicht die Tatsache, dass es Tausende von Sprachen gibt, sogar schädlich, weil sie die Kommunikation beeinträchtigen und dem Streit Vorschub leisten? Vielleicht sollten wir das Sprachensterben sogar
fördern
. Diese Ansicht vertrat eine Fülle von Hörern in Zuschriften an die BBC , nachdem diese in
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