Vermächtnis
entscheiden, sondern auch für ganze Staaten. Ein Beispiel ist die Lage Großbritanniens in der Anfangsphase des Zweiten Weltkrieges im Mai und Juni 1940 : In Frankreich brach der Widerstand gegen die vorrückenden Truppen der Nazis zusammen, Hitler hatte bereits Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Dänemark und die Niederlande besetzt, Italien, Japan und die Sowjetunion hatten Bündnisse oder Abkommen mit Hitler unterschrieben, und die Vereinigten Staaten waren noch entschlossen, neutral zu bleiben. Die Aussichten Großbritanniens, gegen die bevorstehende deutsche Invasion zu bestehen, erschienen düster. Manche Stimmen in der britischen Regierung vertraten die Ansicht, Großbritannien solle keinen hoffnungslosen Widerstand versuchen, sondern irgendeinen Handel mit Hitler eingehen.
Darauf antwortete Winston Churchill am 13 . Mai und 4 . Juni 1940 mit zwei der meistzitierten und folgenreichsten Reden, die im 20 . Jahrhundert in englischer Sprache gehalten wurden. Unter anderem sagte er: »Ich habe nichts anzubieten als Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen … Sie fragen: Was ist unsere Politik? Ich sage … Krieg zu führen, zu Wasser, zu Land und in der Luft, mit all unserer Macht und aller Kraft, die Gott uns geben kann: Krieg zu führen gegen eine monströse Tyrannei, die im düsteren, beklagenswerten Katalog der Verbrechen von Menschen nie übertroffen wurde … Wir werden nicht nachlassen oder nachgeben. Wir werden bis zum Ende durchhalten, wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und dem Ozean kämpfen, wir werden mit wachsender Zuversicht und wachsender Stärke in der Luft kämpfen, wir werden unsere Insel verteidigen, was es auch kosten möge, wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landeplätzen kämpfen, wir werden auf den Feldern und in den Straßen kämpfen, wir werden in den Bergen kämpfen; wir werden uns niemals ergeben …«
Heute wissen wir, dass die Briten sich nie ergeben haben und sich nie um ein Abkommen mit Hitler bemühten, sondern weiterkämpften, nach einem Jahr die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten als Alliierte gewannen und Hitler nach fünf Jahren besiegten. Aber dieses Ergebnis war nicht von vornherein vorauszusehen. Angenommen, die Absorption der kleinen europäischen Sprachen wäre schon 1940 so weit fortgeschritten gewesen, dass die Briten und alle anderen Westeuropäer die größte europäische Sprache – das Deutsche – übernommen hätten. Was wäre im Juni 1940 geschehen, wenn Churchill vor dem Unterhaus nicht Englisch, sondern Deutsch gesprochen hätte?
Mir geht es nicht darum, dass man Churchills Worte nicht hätte übersetzen können; sie klingen auf Deutsch ebenso eindringlich wie auf Englisch. Für mich ist etwas anderes wichtig: Die englische Sprache ist ein Stellvertreter für alles, was die Briten veranlasste, trotz scheinbar hoffnungslos schlechter Chancen weiterzukämpfen. Englisch zu sprechen bedeutet, der Erbe einer tausendjährigen eigenständigen Kultur und Geschichte zu sein, einer wachsenden Demokratie und einer Identität als Inselbewohner. Man ist damit Erbe von Chaucer, Shakespeare, Tennyson und anderer englischsprachiger Literaturdenkmäler. Es bedeutet, dass man andere politische Ideale hat als Deutsche und die übrigen Kontinentaleuropäer. Englisch zu sprechen bedeutete im Juni 1940 , dass es etwas gab, wofür zu kämpfen und zu sterben sich lohnte. Zwar kann es niemand beweisen, aber ich habe meine Zweifel, ob Großbritannien im Juni 1940 Widerstand gegen Hitler geleistet hätte, wenn die Briten bereits Deutsch gesprochen hätten. Die Bewahrung der eigenen sprachlichen Identität ist keine Kleinigkeit. Sie sorgt dafür, dass die Dänen reich und zufrieden sind, verschafft manchen indigenen und eingewanderten Minderheiten Wohlstand und erhielt den Briten die Freiheit.
Wie können wir Sprachen schützen?
Wer nun zumindest wie ich der Ansicht ist, dass Sprachenvielfalt keinen Schaden anrichtet und vielleicht sogar etwas Gutes sein könnte, der sollte als Nächstes fragen: Was können wir tun, um den derzeitigen Trend der schwindenden Sprachenvielfalt aufzuhalten? Sind wir den scheinbar übermächtigen Kräften, die alle Sprachen mit Ausnahme einiger weniger aus der modernen Welt zu verdrängen scheinen, hilflos ausgeliefert?
Nein, wir sind nicht hilflos. Erstens könnten die professionellen Linguisten viel mehr erreichen, als die meisten von ihnen es zur Zeit tun. In ihrer großen
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