Vermächtnis
Indianersprachen heute ausgestorben oder zum Aussterben verurteilt sind, braucht nur daran zu denken, welche Politik die US -Regierung im Hinblick auf diese Sprachen bis vor kurzer Zeit verfolgte. Über mehrere Jahrhunderte bestanden wir darauf, man könne die Indianer nur dadurch »zivilisieren« und ihnen Englisch beibringen, dass man Indianerkinder aus dem »barbarischen« Umfeld ihrer Elternhäuser herausriss und in ausschließlich englischsprachigen Internaten unterbrachte, wo der Gebrauch der Indianersprachen streng verboten war und mit körperlicher Misshandlung und Demütigung geahndet wurde. Zur Rechtfertigung erklärte J. D. C. Atkins, von 1885 bis 1888 US -Kommissar für Indianerangelegenheiten: »Die Unterweisung der Indianer in der Umgangssprache [das heißt der Indianersprache] ist für sie nicht nur nutzlos, sondern für das Anliegen ihrer Erziehung und Zivilisierung sogar schädlich, und sie wird in keiner Indianerschule, über welche die Regierung irgendeine Kontrolle hat, gestattet … Diese Sprache [das Englische], die für den weißen Mann und den schwarzen Mann gut genug ist, sollte auch für den roten Mann gut genug sein. Es ist auch anzunehmen, dass die Unterweisung eines jugendlichen Indianers in seinem eigenen barbarischen Dialekt für ihn eindeutig ein Schaden ist. Der erste Schritt zur Zivilisation, der erste Schritt, die Indianer zu lehren, wie unsinnig und töricht es ist, ihre barbarischen Praktiken beizubehalten, besteht darin, ihnen die englische Sprache beizubringen.«
Nachdem Japan 1879 Okinawa annektiert hatte, machte sich die Regierung das Schlagwort »eine Nation, ein Volk, eine Sprache« zu eigen. Kinder wurden in Okinawa dazu erzogen, Japanisch zu sprechen und sich nicht mehr einer der Okinawa-Sprachen zu bedienen, von denen es ungefähr ein Dutzend gab. Ähnlich machten es die Japaner auch, als sie 1910 Korea besetzten: Die koreanische Sprache wurde in den Schulen des Landes zugunsten des Japanischen verboten. Als Russland 1939 die baltischen Republiken wieder besetzte, wurden das Estnische, Lettische und Litauische an den Schulen vom Russischen abgelöst, die baltischen Sprachen wurden aber im Privatbereich weiterhin gesprochen und erlangten ihre Stellung als Landessprachen wieder, nachdem die Republiken 1991 unabhängig geworden waren. Die einzige erhaltene keltische Sprache auf dem europäischen Festland ist das Bretonische, das bis heute die Erstsprache einer halben Million Franzosen darstellt. Die französische Regierung verfolgt aber offiziell die Politik, das Bretonische aus den Grund- und weiterführenden Schulen zu verbannen, und der Gebrauch der Sprache ist rückläufig.
In den meisten Fällen jedoch gehen Sprachen durch jenen heimtückischen Prozess verloren, der heute in Rotokas abläuft. Mit der politischen Vereinigung eines Gebietes, das früher von sesshaften, untereinander Krieg führenden Stämmen besiedelt war, stellen sich Frieden, Mobilität und zunehmend stammesübergreifende Eheschließungen ein. Junge Menschen, die wirtschaftlich weiterkommen wollen, verlassen ihre Heimatdörfer mit ihrer einheimischen Sprache und ziehen in Ballungszentren, wo die Sprecher ihrer eigenen Stammessprache gegenüber den Menschen mit anderer Stammesherkunft weit in der Minderzahl sind, so dass all jenen, die kommunizieren müssen, nichts anderes übrigbleibt, als die Sprache der Mehrheit zu sprechen. Immer mehr Partner aus unterschiedlichen Sprachgruppen heiraten und müssen auf die Sprache der Mehrheit zurückgreifen, um miteinander zu reden; entsprechend geben sie auch die Mehrheitssprache an ihre Kinder weiter. Und selbst wenn Kinder eine Sprache der Eltern lernen, müssen sie sich in der Schule der Mehrheitssprache bedienen. Menschen, die in ihrem Geburtsdorf bleiben, lernen die Sprache der Mehrheit, weil sie ihnen Zugang zu Prestige, Macht, wirtschaftlichen Vorteilen und zur Außenwelt ermöglicht. Am Arbeitsplatz sowie in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen wird weit überwiegend die Mehrheitssprache gesprochen, die auch die meisten Arbeitskräfte, Verbraucher, Werbekunden und Abonnenten benutzen.
Dies hat in der Regel zur Folge, dass junge Erwachsene aus Minderheiten zweisprachig werden; ihre Kinder sprechen dann nur noch die Sprache der Mehrheit. Die Weitergabe der Minderheitensprache bleibt dabei aus einem von zwei Gründen oder auch beiden auf der Strecke: Eltern wollen, dass ihre Kinder nicht die Stammessprache, sondern die Sprache der Mehrheit lernen, damit
Weitere Kostenlose Bücher