Vermächtnis
wie das Eyak. Dann bleiben in Alaska nur noch zwei einheimische Sprachen, die von Kindern gelernt werden und deshalb nicht zum Untergang verdammt sind: das sibirische Yupik mit 1000 Sprechern und das zentrale Yupik, das insgesamt rund 10 000 Menschen beherrschen.
In Büchern, in denen über den derzeitigen Zustand der Sprachen berichtet wird, finden sich monoton immer wieder die gleichen Formulierungen: »Ubychisch [die Sprache in der Türkei mit 80 Konsonanten] … Der letzte voll kompetente Sprecher dieser Sprache, Tevfik Esenç aus Haci Osman, starb im Oktober 1992 in Istanbul. Vor hundert Jahren gab es in den Tälern des Kaukasus östlich des Schwarzen Meeres noch 50 000 Sprecher.« »Cupeño [eine Indianersprache im Süden Kaliforniens] … neun Sprecher in einer Gesamtbevölkerung von 150 … alle über 50 Jahre alt … nahezu ausgestorben.« »Yamana [eine Indianersprache, die früher in Südchile und Argentinien gesprochen wurde] … drei Sprecherinnen [in Chile], die mit spanischen Männern verheiratet sind und ihre Kinder spanischsprachig großgezogen haben … in Argentinien ausgestorben.«
Sprachen sind rund um die Welt in sehr unterschiedlichem Ausmaß gefährdet. Der Kontinent, der linguistisch in den größten Schwierigkeiten steckt, ist das Australien der Aborigines: Dort wurden ursprünglich ungefähr 250 Sprachen gesprochen, und zwar jeweils von weniger als 5000 Personen. Die Hälfte dieser australischen Sprachen ist heute bereits ausgestorben; die meisten noch erhaltenen werden von weniger als 100 Menschen gesprochen; noch nicht einmal 20 werden noch an Kinder weitergegeben; und höchstens einige wenige wird man zu Beginn des 21 . Jahrhunderts noch sprechen. Nahezu ebenso verzweifelt ist die Lage der Ureinwohnersprachen in Nord- und Südamerika. In Nordamerika hatten die Ureinwohner früher mehrere hundert Sprachen; ein Drittel davon ist bereits ausgestorben, ein weiteres Drittel wird nur noch von alten Menschen gesprochen, und nur zwei (Navajo und Yupik) werden noch von lokalen Radiosendern verbreitet – in unserer Welt der Massenkommunikation ein sicheres Zeichen für Probleme. Unter den rund 1000 Sprachen der mittel- und südamerikanischen Ureinwohner hat nur eine gesicherte Zukunftsaussichten: das Guarani, das neben dem Spanischen die Amtssprache Paraguays ist. Der einzige Kontinent, auf dem Hunderte von einheimischen Sprachen bisher in keiner allzu düsteren Lage sind, ist Afrika: Dort werden die meisten noch vorhandenen Sprachen von Zehntausenden oder sogar Millionen von Menschen gesprochen, und die Bevölkerungsgruppen der sesshaften Kleinbauern halten anscheinend bisher an ihren Sprachen fest.
Wie Sprachen verschwinden
Wie sterben Sprachen aus? Genau wie man Menschen auf unterschiedliche Weise töten kann – ein schneller Schlag auf den Kopf, langsames Erdrosseln oder anhaltende Vernachlässigung –, so gibt es auch verschiedene Wege, um eine Sprache auszurotten. Der unmittelbarste besteht darin, alle ihre Sprecher zu töten. Auf diese Weise beseitigten weiße Kalifornier die Sprache des letzten »wilden« Indianers der Vereinigten Staaten, eines Mannes namens Ishi (Abb. 29 ) , der zu dem rund 400 -köpfigen Stamm der Yahi gehörte und in der Nähe des Mount Lassen lebte. Zwischen 1853 und 1870 , nachdem der kalifornische Goldrausch große Horden europäischer Siedler nach Kalifornien geführt hatte, brachten diese in einer Reihe von Massakern die meisten Yahi um; zurück blieben Ishi und seine Familie, dann nur noch Ishi, der in einem Versteck bis 1911 überlebte. In Tasmanien rotteten britische Kolonialherren Anfang des 19 . Jahrhunderts sämtliche einheimischen Sprachen aus, indem sie die meisten Tasmanier töteten oder gefangen nahmen; den Anreiz bot eine Belohnung von fünf Pfund für jeden erwachsenen Tasmanier und zwei Pfund für jedes Kind. Ähnliche Folgen haben auch weniger gewalttätige Todesarten. So bestand der Ureinwohnerstamm der Mandan in den Großen Ebenen Nordamerikas früher aus Tausenden von Menschen, aber 1992 sprachen nur noch sechs alte Menschen fließend die Mandan-Sprache, was vor allem auf die Cholera- und Pockenepidemien zwischen 1750 und 1837 zurückzuführen war.
Ein etwas weniger direkter Weg zur Ausrottung einer Sprache besteht darin, ihre Sprecher nicht zu töten, aber ihnen den Gebrauch ihrer Sprache zu verbieten und sie zu bestrafen, wenn sie dabei erwischt werden. Wer sich fragt, warum die meisten nordamerikanischen
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