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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Schritt wird dann das gefilterte Natrium von dem Abschnitt des Kanälchens, der hinter dem Glomerulus liegt, zum größten Teil wieder ins Blut zurückresorbiert; das nicht resorbierte, gefilterte Natrium gelangt schließlich in den Urin. Veränderungen in jedem dieser beiden Schritte können zu Bluthochdruck führen: Ältere Menschen neigen zu erhöhtem Blutdruck, weil die Filtration in den Glomeruli geringer ist, und bei essentiellen Hypertonikern ist die Rückresorption in den Kanälen verstärkt. Das Ergebnis ist in beiden Fällen das Gleiche: Es wird weniger Natrium filtriert oder mehr Natrium rückresorbiert, so dass mehr Natrium und Wasser im Organismus bleiben und der Blutdruck ansteigt.
    Mediziner bezeichnen die postulierte starke Natrium-Rückresorption in den Nierenkanälchen von Hypertonikern als »Defekt«. Sie sagen zum Beispiel: »In den Nieren von Hypertonikern liegt ein genetischer Defekt der Natriumausscheidung vor.« In mir als Evolutionsbiologen läuten aber stets die Alarmglocken, wenn ein scheinbar schädliches Merkmal, das in einer alten, großen Bevölkerungsgruppe der Menschen häufig auftritt, als »Defekt« abgetan wird. Nach einer ausreichenden Zahl von Generationen werden Gene, die ein starkes Hindernis für das Überleben darstellen, sich in der Regel nicht verbreiten, es sei denn, unter dem Strich steigert ihre Wirkung aus irgendeinem Grund die Überlebensfähigkeit und den Fortpflanzungserfolg. Unsere Medizin liefert das beste Beispiel dafür, wie scheinbar defekte Gene eine hohe Häufigkeit erreichen können, wenn sie im Gegenzug einen Nutzen mit sich bringen. Für das Sichelzellhämoglobin beispielsweise ist ein mutiertes Gen verantwortlich, das eine Anämie erzeugt, also eine zweifellos schädliche Krankheit. Das Gen bietet aber auch einen gewissen Schutz gegen Malaria, und deshalb hat es unter dem Strich in den Malariagebieten Afrikas und des Mittelmeerraumes eine nützliche Wirkung. Wenn wir also verstehen wollen, warum Hypertoniker ohne Behandlung heute oftmals wegen des von ihren Nieren zurückgehaltenen Salzes sterben, müssen wir fragen, unter welchen Bedingungen Menschen von Nieren, die Salz gut zurückhalten können, profitieren.
    Die Antwort ist einfach. Für die meisten Menschen war Salz während des größten Teils der Menschheitsgeschichte bis zum Aufschwung der Salzsteuer nur in geringen Mengen verfügbar; unter solchen Bedingungen konnten Individuen, deren Nieren das Salz wirksam zurückhielten, während der unausweichlichen Episoden, wenn durch Schwitzen oder Durchfallanfälle Salz verloren ging, besser überleben. Zu einer Belastung wurden solche Nieren erst, als Salz ständig zur Verfügung stand, denn nun hielten sie übermäßig große Salzmengen zurück, was zum Bluthochdruck mit seinen tödlichen Folgen führte. Das ist der Grund, warum der Blutdruck und die Häufigkeit des Bluthochdrucks in so vielen Bevölkerungsgruppen auf der ganzen Welt in jüngerer Zeit in die Höhe gegangen sind, nachdem sie den Übergang von der traditionellen Lebensweise mit ihren nur begrenzt verfügbaren Salzmengen zu einem Dasein als Supermarktkunden vollzogen haben. Es ist eine evolutionäre Ironie: Diejenigen unter uns, deren Vorfahren vor Zehntausenden von Jahren mit dem Salzmangel in der afrikanischen Savanne am besten zurechtkamen, laufen heute am stärksten Gefahr, in den Straßen von Los Angeles wegen eines Überschusses an Salz zu sterben.
    Salz in der Nahrung
    Wer jetzt überzeugt ist, dass es gesünder wäre, weniger Salz zu sich zu nehmen, für den stellt sich die Frage: Wie macht man das? Früher glaubte ich, es sei mir bereits gelungen und ich gehe tugendhaft mit Salz um, denn ich streue mir niemals die weißen Körner auf das Essen. Ich hatte zwar nie meine Salzaufnahme oder -ausscheidung gemessen, aber naiverweise nahm ich an, sie müssten gering sein. Leider aber ist mir heute etwas anderes klar: Hätte ich sie gemessen, so hätte sich herausgestellt, dass sie weit über dem Niveau der Yanomamo lagen und nicht weit von den Werten der Amerikaner entfernt waren, die den Salzstreuer benutzen.
    Diese traurige Erkenntnis hat ihre Ursachen in den Quellen, aus denen wir unser Salz tatsächlich mit der Nahrung aufnehmen. In Nordamerika und Europa werden nur ungefähr zwölf Prozent des konsumierten Salzes zu Hause und mit unserem Wissen der Nahrung zugesetzt, entweder durch denjenigen, der kocht, oder durch den Einzelnen am Esstisch. Nur diese zwölf Prozent hatte ich

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