Vermächtnis
möglicherweise auch Faktoren, die während der Schwangerschaft Auswirkungen auf den Fetus haben. Ein Beleg für die Rolle der Gene ist das zehnfach erhöhte Diabetesrisiko von Menschen, die einen zuckerkranken Verwandten ersten Grades (Eltern oder Geschwister) haben. Aber wie der Bluthochdruck, so ist auch Diabetes nicht eine jener einfachen genetischen Erkrankungen (wie die Sichelzellanämie), bei denen eine Mutation in demselben Gen bei allen Patienten die Krankheit verursacht. Für den Diabetes hat man vielmehr viele Dutzend unterschiedliche genetische Anfälligkeitsfaktoren identifiziert, deren einziges gemeinsames Merkmal in vielen Fällen darin besteht, dass eine Mutation in einem dieser Gene zu Insulinresistenz und damit zu einem hohen Blutzuckerspiegel führt. (Ich möchte noch einmal erwähnen, dass diese Aussagen für den Diabetes des Typs 2 gelten; der Typ 1 ist von anderen genetischen Dispositionsfaktoren abhängig.)
Neben solchen genetischen Faktoren, die zum Diabetes beitragen, spielen auch Umwelt und Lebensweise eine Rolle. Auch wer aus genetischen Gründen zum Diabetes neigt, muss die Krankheit nicht unbedingt bekommen – ein wichtiger Unterschied beispielsweise zu Menschen, die zwei Gene für Muskeldystrophie oder die Tay-Sachs-Krankheit besitzen. Das Risiko, dass der Diabetes ausbricht, steigt mit dem Lebensalter an, außerdem ist es höher, wenn man zuckerkranke Verwandte ersten Grades hat oder das Kind einer zuckerkranken Mutter ist – Faktoren, die man selbst nicht beeinflussen kann. Andere Risikofaktoren jedoch können wir kontrollieren, insbesondere Übergewicht, Bewegungsarmut, kalorienreiche Ernährung und den Verzehr von Zucker und Fett. Die meisten Diabetiker (ich betone noch einmal: die meisten Diabetiker des Typs 2 ) können ihre Symptome vermindern, indem sie diese Risikofaktoren zurückdrängen. Diabetes ist beispielsweise bei übergewichtigen Menschen fünf- bis zehnmal häufiger als bei Personen mit Normalgewicht. Deshalb können Diabetiker ihre Gesundheit häufig wiederherstellen, indem sie Diät halten, sich körperlich betätigen und abnehmen; die gleichen Maßnahmen schützen auch Menschen, die aus genetischen Gründen zum Diabetes neigen, vor dem Ausbruch der Krankheit.
Die große Bedeutung der Umweltfaktoren für den Diabetes zeigt sich im Einzelfall an vielerlei natürlichen Experimenten, darunter auch diejenigen, an denen ich zu Beginn dieses Kapitels ganz allgemein den Zusammenhang zwischen der westlich geprägten Lebensweise und den nicht übertragbaren Krankheiten aufgezeigt habe. Die weltweit zunehmende Häufigkeit dieser Faktoren ist die Ursache für die weltweite Diabetes-Epidemie. Ein solches natürliches Experiment ist das Steigen und Sinken der Diabeteshäufigkeit in Verbindung mit dem Aufschwung und Rückgang der westlich geprägten Lebensweise und des Wohlstandes in ein und derselben Bevölkerung. In Japan verlaufen die Kurven für die zeitliche Entwicklung der Diabeteshäufigkeit und der Wirtschaftsindikatoren bis hin zu den kleinen alljährlichen Schwankungen parallel. Der Grund: Wenn die Menschen mehr Geld haben, essen sie mehr, und damit wächst das Risiko, dass Diabetessymptome auftreten. In Bevölkerungsgruppen, die Hunger leiden, gehen die Diabetessymptome zurück, oder sie verschwinden ganz; dies galt beispielsweise für französische Diabetespatienten während der Belagerung von Paris in den Jahren 1870 / 71 , in deren Verlauf Lebensmittel streng rationiert wurden. Bei Gruppen australischer Ureinwohner, die vorübergehend ihre angenommene sesshafte, westlich geprägte Lebensweise aufgaben und das traditionelle, energische Wildbeutertum wieder aufnahmen, verschwanden die Diabetessymptome; die Mitglieder einer solchen Gruppe nahmen innerhalb von sieben Wochen durchschnittlich acht Kilo ab. (Wie gesagt: Übergewicht ist einer der wichtigsten Diabetes-Risikofaktoren.) Einen Rückgang der Diabetessymptome und des Bauchumfanges stellte man auch bei Schweden fest, die über drei Monate hinweg ihre sehr un-mediterrane schwedische Ernährung (mit über 70 Prozent der Kalorienaufnahme aus Zucker, Margarine, Milchprodukten, Alkohol, Öl und Getreideprodukten) aufgaben und sich stattdessen die Mittelmeer-Ernährung der in der Regel schlanken Italiener zu eigen machten. Eine noch bessere Gesundheit und eine schlankere Taille stellten sich bei Schweden mit einer »Steinzeitdiät« ein, die so gestaltet war, dass sie der Ernährung von Jägern und Sammlern
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