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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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genetischen und möglicherweise auch schwangerschaftsbedingten Faktoren, die sich später aufgrund der Lebensweise offenbaren und zu den Krankheitssymptomen führen.
    Die Pima-Indianer und die Bewohner der Insel Nauru
    Sehr deutlich werden diese Belege für den Einfluss der Umwelt auf den Diabetes an der Tragödie der beiden Völker, in denen die Zuckerkrankheit heute weltweit am häufigsten ist: den Pima-Indianern und den Bewohnern der Insel Nauru. Betrachten wir zunächst einmal die Pima: Sie lebten mehr als 2000  Jahre in den Wüsten des südlichen Arizona, betrieben Landwirtschaft mit Hilfe ausgeklügelter Bewässerungssysteme und ergänzten ihren Speisezettel durch Jagen und Sammeln. Da die Niederschläge in der Wüste von Jahr zu Jahr stark schwanken, kam es ungefähr alle fünf Jahre zu einer Missernte; dann waren die Pima gezwungen, sich ausschließlich von Lebensmitteln aus der Wildnis zu ernähren, insbesondere von Wildhasen und Mesquitebohnen. Viele ihrer bevorzugten Wildpflanzen waren ballaststoffreich, fettarm und gaben die Glucose nur langsam frei; damit stellten sie eine ideale Antidiabetesernährung dar. Nach dieser langen Geschichte mit immer wiederkehrenden, aber kurzen Hungerphasen erlebten die Pima gegen Ende des 19 . Jahrhunderts eine längere Hungersnot, weil weiße Siedler die Flüsse, von denen die Pima mit ihren Bewässerungssystemen abhängig waren, im Oberlauf umleiteten. Die Folge waren Missernten und eine umfassende Hungersnot. Heute verzehren die Pima Lebensmittel, die sie im Laden kaufen.
    Nach den Berichten von Beobachtern, die Anfang des 19 . Jahrhunderts die Pima besuchten, war Übergewicht in der Gruppe selten, und Diabetes gab es so gut wie gar nicht. Seit den 1960 er Jahren ist Fettleibigkeit bei den Pima weit verbreitet – manche von ihnen wiegen heute mehr als 130  Kilo. Die Hälfte der Pima gehört, was das Verhältnis des Gewichts zur Körpergröße angeht, in die gleiche Kategorie wie die obersten zehn Prozent der US -Bevölkerung. Pima-Frauen nehmen ungefähr 3160 Kalorien am Tag zu sich ( 50  Prozent über dem US -Durchschnitt), 40  Prozent davon in Form von Fett. In Verbindung mit ihrer Fettsucht gelangten die Pima in der Diabetes-Fachliteratur zu zweifelhafter Berühmtheit, weil sie heute die weltweit höchste Häufigkeit der Krankheit aufweisen. Die Hälfte aller Pima über 35  Jahre und 70  Prozent der 55 - bis 64 -Jährigen sind Diabetiker; die Folgen sind tragisch viele Fälle von Erblindung, Amputationen und Nierenversagen.
    Mein zweites Beispiel ist Nauru, eine kleine, abgelegene Tropeninsel im Pazifik, die in prähistorischer Zeit von Mikronesiern besiedelt wurde. Nauru wurde 1888 von Deutschland annektiert, 1914 von Australien besetzt und erhielt 1968 schließlich als kleinste Republik der Welt die Unabhängigkeit. Eine weniger angenehme Sonderstellung nimmt Nauru aber auch als grausig-aufschlussreicher Ort eines selten dokumentierten Phänomens ein: der Epidemie einer genetisch bedingten Krankheit. Die allgemein bekannten Epidemien von Infektionskrankheiten flammen auf, wenn die Übertragung des Erregers sich verstärkt, und sie verlaufen im Sande, wenn die Zahl der anfälligen potentiellen Opfer sinkt, entweder weil die Überlebenden immun geworden sind oder weil Personen, die aus genetischen Gründen anfällig sind, bevorzugt an der Krankheit sterben. Eine Epidemie einer genetischen Erkrankung dagegen breitet sich aus, wenn die umweltbedingten Risikofaktoren sich verstärken, und sie verschwindet wieder, wenn die Zahl der anfälligen potentiellen Opfer sinkt (was aber hier nur daran liegt, dass genetisch anfällige Personen bevorzugt sterben, nicht aber daran, dass sie Immunität erwerben; eine erworbene Immunität gegen Diabetes gibt es nicht).
    Die traditionelle Lebensweise der Bewohner von Nauru basierte auf Landwirtschaft und Fischerei; sie umfasste häufige Hungerperioden, ausgelöst durch Dürre und den schlechten Boden der Insel. Dennoch stellten Besucher aus Europa schon frühzeitig fest, dass die Inselbewohner dicklich waren: Sie bewunderten große, dicke Menschen und ernährten Mädchen so, dass sie übergewichtig und damit in ihren Augen attraktiver wurden. Wie man 1906 entdeckte, bestand die Insel unterhalb des unfruchtbaren Bodens aus Gestein mit der weltweit höchsten Konzentration an Phosphat, einem unentbehrlichen Bestandteil für Düngemittel. Das Bergbauunternehmen, das die Vorkommen ausbeutete, zahlte ab 1922 eine Entschädigung an

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