Vermächtnis
ähnelte.
Ein anderes natürliches Experiment bietet die explosionsartige Zunahme der Diabeteshäufigkeit in Bevölkerungsgruppen, die auswanderten und damit eine streng spartanische Lebensweise zugunsten eines sesshaften Lebens mit hoher Kalorienaufnahme und wenig körperlicher Bewegung aufgaben, dessen Grundlage ein Überfluss an Supermarkt-Lebensmitteln war. Ein dramatisches Beispiel sind die Juden aus dem Jemen, die im Rahmen der Operation »Fliegender Teppich« 1949 und 1950 per Flugzeug nach Israel gebracht und damit ganz plötzlich aus einer mittelalterlichen Lebensweise in das 20 . Jahrhundert versetzt wurden. Als die jemenitischen Juden nach Israel kamen, gab es unter ihnen praktisch keinen Diabetes, nach 20 Jahren jedoch waren 13 Prozent von ihnen zuckerkrank. Weitere Einwanderer, die eine wirtschaftliche Zukunft suchten und Diabetes fanden, waren unter anderem die nach Israel ausgewanderten äthiopischen Juden, sowie Mexikaner und Japaner, die in die Vereinigten Staaten zogen, Polynesier, die sich in Neuseeland ansiedelten, Chinesen, die nach Mauritius und Singapur emigrierten, sowie Inder, die in Mauritius, Singapur, auf den Fidschi-Inseln, in Südafrika, den Vereinigten Staaten und Großbritannien heimisch wurden.
Entsprechend wuchs die Diabeteshäufigkeit auch in Entwicklungsländern, die in jüngerer Zeit an Wohlstand gewonnen haben und stärker westlich geprägt wurden. An erster Stelle stehen dabei die arabischen Ölstaaten und die neuerdings wohlhabenden Inselstaaten, die heute alle einen Diabetikeranteil von mehr als 15 Prozent haben und damit die weltweite Häufigkeitsliste anführen. In allen Staaten Lateinamerikas und der Karibik liegt die Häufigkeit heute bei über fünf Prozent. In Ost- und Südasien beträgt sie über vier Prozent; eine Ausnahme machen nur fünf der ärmsten Staaten, in denen die Diabeteshäufigkeit bis auf 1 , 6 Prozent sinkt. Ein neues Phänomen ist die hohe Diabeteshäufigkeit in Ländern, die sich schnell entwickeln: In Indien lag sie noch 1959 bei unter einem Prozent, heute ist sie auf acht Prozent gestiegen. Umgekehrt sind die meisten Staaten des mittleren und südlichen Afrika noch heute arm, und die Diabeteshäufigkeit liegt dort bei unter fünf Prozent.
Hinter solchen nationalen Durchschnittswerten verbergen sich große interne Unterschiede, die weitere natürliche Experimente darstellen. Auf der ganzen Welt führt die Landflucht zu weniger körperlicher Bewegung und einem stärkeren Verzehr von Supermarkt-Lebensmitteln, aber auch zu mehr Übergewicht und Diabetes. Zu den städtischen Bevölkerungsgruppen, in denen die Diabeteshäufigkeit besonders stark angestiegen ist, gehört das bereits erwähnte Volk der Wanigela in der Hauptstadt von Papua-Neuguinea mit 37 Prozent und mehrere Gruppen der in Städten lebenden australischen Ureinwohner (bis zu 33 Prozent). Alle diese Fälle sind insbesondere deshalb auffällig, weil die Zuckerkrankheit bei den Ureinwohnern Neuguineas und Australiens unter den traditionellen Lebensbedingungen unbekannt war.
Mit der westlich geprägten Lebensweise steigt also aus irgendeinem Grund die Gefahr, zum Diabetiker zu werden. Aber die westlich geprägte Lebensweise besteht aus vielen miteinander verflochtenen Bestandteilen; welche davon tragen am meisten zum Diabetesrisiko bei? Die Auswirkungen zusammenhängender Einflüsse auseinanderzudividieren ist zwar nicht einfach, die drei stärksten Risikofaktoren sind aber anscheinend Übergewicht, eine sesshafte Lebensweise (an beidem können wir selbst etwas ändern) und eine familiäre Geschichte von Diabeteserkrankungen (an der wir nichts ändern können). Ein anderer Risikofaktor, der nicht unserer Kontrolle unterliegt, ist ein besonders hohes oder besonders niedriges Gewicht bei der Geburt. Die Zusammensetzung der Ernährung spielt zwar über ihren Zusammenhang mit dem Übergewicht sicher eine Rolle, offensichtlich übt sie aber auch unabhängig davon einen Einfluss aus: Unter Menschen mit gleichem Übergewicht besteht offenbar für diejenigen, die eine Mittelmeer-Ernährung zu sich nehmen, ein geringeres Risiko als für jene mit einem hohen Konsum von Zucker, gesättigten Fettsäuren, Cholesterin und Triglyceriden. Bewegungsmangel steigert das Risiko wahrscheinlich vorwiegend deshalb, weil er zum Übergewicht beiträgt, aber Rauchen, Entzündungen und hoher Alkoholkonsum sind offenbar unabhängige Risikofaktoren. Kurz gesagt, hat der Diabetes des Typs 2 seine Ursachen in
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