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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Neuguineas verstecken Amerikaner ihre 100 -Dollar-Noten in einem Portemonnaie, bis sie ausgegeben werden, und sie fädeln Geldscheine auch nicht auf eine Schnur und hängen sie sich um den Hals, so dass jeder sie sehen kann.
    Auch über ein zweites Merkmal unserer Marktwirtschaft würden viele traditionelle Völker sich wundern: Wenn wir etwas kaufen, sehen wir in dem Vorgang ausdrücklich einen Austausch – wenn der Käufer etwas anderes (in der Regel Geld) übergibt, betrachten wir dies nicht als gegenseitiges Geschenk, sondern als Bezahlung. Fast immer zahlt der Käufer entweder zum Zeitpunkt des Erwerbs, oder er stimmt zumindest einem Preis zu, wenn die Bezahlung später oder in Raten erfolgt. Wenn der Verkäufer sich einverstanden erklärt, auf einen Teil der Zahlung oder den Gesamtbetrag bis später zu warten, wie es vielfach beim Kauf eines Neuwagens geschieht, ist die Bezahlung dennoch eine genau festgelegte Verpflichtung und kein späteres Gegengeschenk nach Belieben des Käufers: So etwas wäre für uns absurd. Wie wir aber noch genauer erfahren werden, funktioniert der Handel in vielen traditionellen Gesellschaften genau nach diesem Prinzip.
    Ein dritter Aspekt ist die Tatsache, dass unsere geschäftlichen Transaktionen meist zwischen einem Käufer und einem spezialisierten, professionellen Vermittler (»Verkäufer«) in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten (»Laden«) stattfinden und nicht zwischen dem Käufer und dem eigentlichen Lieferanten nahe der Wohnung des einen oder anderen. Ein einfacheres Modell läuft auf der untersten Ebene unserer wirtschaftlichen Hierarchie ab: einmalige, direkte Transaktionen, bei denen ein Verkäufer seine Waren anpreist (durch ein Schild vor seinem Haus, eine Zeitungsanzeige oder ein Angebot bei eBay), um dann sein Haus oder sein Auto unmittelbar an einen Käufer abzugeben, der die Anzeigen durchgesehen hat. Umgekehrt besteht ein komplexes Modell auf der höchsten Ebene unserer wirtschaftlichen Hierarchie im Verkauf von Regierung zu Regierung; dabei geht es dann beispielsweise um Öllieferverträge zwischen Staaten oder um den Waffenhandel zwischen Staaten der Ersten Welt und anderen.
    Unsere geschäftlichen Transaktionen können also solche vielfältigen Formen annehmen, in der Regel haben aber Käufer und Verkäufer über die Transaktion hinaus nur eine geringfügige oder gar keine persönliche Beziehung. Sie haben sich vielleicht noch nie gesehen oder noch nie Geschäfte miteinander gemacht, sie werden es vielleicht auch nie wieder tun, und es geht ihnen vorwiegend um die Gegenstände, die den Besitzer wechseln (die gekaufte Ware und das Geld), aber nicht um ihre Beziehung. Selbst wenn Käufer und Verkäufer immer wieder Transaktionen miteinander abwickeln, beispielsweise weil ein Käufer jede Woche den Marktstand eines bestimmten Bauern aufsucht, steht die Transaktion im Vordergrund und die Beziehung ist von sekundärer Bedeutung. Wie wir noch genauer erfahren werden, trifft diese Grundtatsache der Marktwirtschaft, die wahrscheinlich alle Leser dieses Buches für selbstverständlich halten, auf traditionelle Kleingesellschaften oftmals nicht zu: Dort sind die Beteiligten keine professionellen Verkäufer oder Käufer, die Beziehung zwischen beiden Beteiligten ist von Dauer, und die ausgetauschten Gegenstände sind für sie unter Umständen von geringfügiger Bedeutung im Vergleich zu der persönlichen Beziehung, die durch den Austausch gestärkt werden soll.
    Im Zusammenhang mit diesem dritten Aspekt der Marktwirtschaft steht ein vierter: Die meisten professionellen Märkte sind entweder ständig oder aber oft und regelmäßig in Betrieb. Ein Laden hat in der Regel an allen Tagen außer sonntags geöffnet, der Bauernmarkt findet wöchentlich statt (zum Beispiel am Mittwochmorgen). Der traditionelle Kleinhandel dagegen führt die Beteiligten in vielen Fällen nur selten zusammen, oftmals nur einmal im Jahr oder sogar nur alle paar Jahre.
    Der vorletzte Aspekt der Märkte bedeutet eigentlich keinen Unterschied, sondern eine Ähnlichkeit zum Handel bei den traditionellen Kleingesellschaften. In beiden Fällen reicht das Spektrum der gehandelten Gegenstände vom materiell Notwendigen (»Bedarf«) bis zum materiell Unnützen (»Luxusgüter«). Das eine Extrem sind dabei Gegenstände, die das Überleben erleichtern oder dafür sogar unentbehrlich sind wie Nahrung, warme Kleidung, Werkzeuge und Maschinen. Am anderen Ende des Spektrums stehen Objekte, die für das Überleben

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