Vermächtnis
tun und stattdessen manche Gegenstände, sie sie selbst hätten beschaffen oder herstellen können, durch Handel zu erwerben.
Der Handel der traditionellen Kleingesellschaften spielte sich zum größten Teil auf kurzen Entfernungen zwischen benachbarten Gruppen ab, denn lange Handelsreisen, die über mehrere Bevölkerungsgruppen führten, waren wegen der immer wieder aufflammenden Kriege gefährlich. Selbst die Siassi, die mit ihren Kanus über große Entfernungen Handel betrieben, achteten genau darauf, dass sie nur bei Dörfern Station machten, zu denen sie bereits eine Handelsbeziehung aufgebaut hatten. Wenn der Wind sie vom Kurs abgebracht oder den Mast abgebrochen hatte, so dass sie gezwungenermaßen ohne solche Beziehungen an einer Küste landen mussten, wurden sie in der Regel als Eindringlinge betrachtet und getötet, weil die Dorfbewohner sie nicht freundlich zu zukünftigen Besuchen ermutigen wollten, sondern sich ihre Waren aneigneten.
Der traditionelle Handel war in mehrfacher Hinsicht anders als die entsprechenden heutigen Gepflogenheiten beim Erwerb von Waren, das heißt beim Einkauf mit Geld in einem Laden. So wäre es heute beispielsweise undenkbar, dass ein Kunde bei einem Autohändler einen Neuwagen kauft und damit wegfährt, ohne etwas zu bezahlen oder einen Vertrag zu unterschreiben, und der Verkäufer würde sich sicher nicht darauf verlassen, dass der Kunde sich irgendwann in der Zukunft entschließt, ihm ein gleichwertiges Geschenk zu machen. In traditionellen Gesellschaften ist eine solche erstaunliche Verfahrensweise allgemein üblich. Manche Aspekte des traditionellen Handels würden aber auch einem modernen Kunden bekannt vorkommen, insbesondere der hohe Anteil von Käufen nutzloser oder unnötig teurer Statussymbole wie Schmuck oder Designerkleidung. Machen wir uns also einmal ein Bild davon, was die Angehörigen traditioneller Gesellschaften schon kurz nach dem Erstkontakt an unserer Markt- und Geldwirtschaft seltsam fanden. Manche Hochlandbewohner aus Neuguinea, die den Erstkontakt gerade erst hinter sich hatten, wurden mit dem Flugzeug in Orte an der Küste der Insel gebracht. Dort erlebten sie einen Kulturschock. Was müssen diese Hochlandbewohner gedacht haben, als sie erfuhren, wie unsere Wirtschaft funktioniert?
Marktwirtschaften
Die erste Überraschung für die Hochlandbewohner war sicher die Erkenntnis, dass unsere bei weitem vorherrschende Methode darin besteht, Gegenstände nicht durch Tausch zu erwerben, sondern dafür Geld zu bezahlen (Abb. 33 ) . Anders als die meisten Objekte, die beim traditionellen Handel ausgetauscht werden, hat Geld keinen inneren Wert, und es gilt auch nicht als Luxusgut wie Schmuck oder ein Handelsgefäß der Siassi, das man entweder eintauschte oder behielt und bewunderte, weil es einen Status verlieh. Geld hat ausschließlich den Zweck, ausgegeben und gegen andere Dinge eingetauscht zu werden. Und anders als ein Handelsgefäß der Siassi, das alle Bewohner bestimmter Dörfer – die notwendige Geschicklichkeit vorausgesetzt – schnitzen dürfen, wird Geld von einer Regierung emittiert: Wenn ein Bürger der Ersten Welt, der über die notwendige Geschicklichkeit und eine Druckpresse verfügt, diese Fähigkeiten anwenden und selbst Geld herstellen will, wandert er als Fälscher ins Gefängnis.
Die alte, traditionelle Methode des Tauschhandels, bei der zwei Personen von Angesicht zu Angesicht die gewünschten Gegenstände austauschen, ohne in einem Zwischenschritt Geld an einen Dritten zu bezahlen, kommt in modernen Gesellschaften nur selten zur Anwendung. Umgekehrt benutzten manche traditionellen Gesellschaften Gegenstände von willkürlich zugeschriebenem Wert auf eine Weise, die unserer Verwendung von Geld nahekam. Beispiele sind die goldgefassten Perlenmuscheln der Kaulong in Neubritannien oder die großen Steinscheiben der Menschen auf der Insel Yap in Mikronesien. Die Hochlandbewohner Neuguineas verwendeten Kaurimuscheln, und die Menschen an der Vitiaz-Straße schnitzten Holzschalen als Tauschgüter, mit denen unter anderem auch ein Teil des Brautpreises zu einem festgelegten Kurs bezahlt wurde: soundso viele Muscheln oder Schalen und andere Waren für eine Braut. Aber im Gegensatz zum Geld wurden solche Gegenstände nur zur Bezahlung bestimmter Dinge benutzt (man vergeudete sie nicht für die Süßkartoffeln zum Mittagessen), und sie waren auch attraktive Luxusgüter, die man behalten und vorzeigen konnte. Anders als die Hochlandbewohner
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