Vermächtnis
genau festgelegten zukünftigen Zeitpunkt ein Geschenk von vergleichbarem Wert zu machen. In seiner einfachsten Form findet man dieses gegenseitige Schenken bei den Bewohnern der Andamananinseln (Abb. 4 ) : Dort liegt zwischen den beiden Teilen der Transaktion nur ein kurzer Zeitraum. Eine lokale Gruppe lädt eine oder mehrere andere Gruppen aus der Gegend zu einem Festessen ein, das mehrere Tage dauert; dazu bringen die Besucher verschiedene Gegenstände mit, beispielsweise Bogen, Pfeile, Äxte, Körbe und Ton. Ein Besucher gibt einem Gastgeber einen solchen Gegenstand, und dieser kann das Geschenk nicht ablehnen, sondern man rechnet damit, dass er seinerseits etwas von gleichem Wert gibt. Entspricht das zweite Geschenk nicht den Erwartungen des Gastes, wird dieser unter Umständen wütend. Manchmal nennt der Gebende während des Schenkens den Gegenstand, den er im Gegenzug gern hätte, aber das ist die Ausnahme. Bei den südamerikanischen Yanomamo-Indianern (Abb. 12 ) ist das gegenseitige Schenken ebenfalls mit einem Festmahl verbunden, zu dem eine Gruppe ihre Nachbarn einlädt. Im Gegensatz zur Sitte auf den Andamanen muss das zweite Geschenk beim gegenseitigen Schenken der Yanomamo ein anderer Gegenstand sein, und er wird bei einem späteren Festmahl überreicht. Bei den Yanomamo bleibt jedes Geschenk lange in Erinnerung. Wegen des zeitlichen Abstandes zwischen dem ersten und dem zweiten Geschenk dienen die angesammelten Verpflichtungen den Bewohnern der Nachbardörfer als ständige Ausrede, um sich gegenseitig zu besuchen und Feste zu feiern, denn einige Bewohner des einen Dorfes schulden immer einigen aus dem anderen vom letzten Zusammentreffen her noch etwas.
Bei den Inuit im Nordwesten Alaskas, den Agta auf den Philippinen (Abb. 3 ) , den Bewohnern der Trobriandinseln und den !Kung hat jeder Einzelne anerkannte Handelspartner, mit denen Geschenke ausgetauscht werden. Jeder Inuit hat zwischen einem und sechs solche Partner. Die Agta und die afrikanischen Pygmäen (Jäger und Sammler) pflegen Beziehungen zu philippinischen beziehungsweise Bantu-Bauernfamilien, und diese Beziehungen werden von Generation zu Generation weitergegeben. Jeder, der auf den Trobriandinseln eine Handelsreise mit dem Kanu unternimmt, hat auf jeder Insel, die er besucht, einen Handelspartner, dem er ein Geschenk mitbringt und von dem er umgekehrt bei seinem nächsten Besuch, ein Jahr später, ein gleichwertiges Geschenk erwartet. Das
hxaro
genannte Fernhandelssystem der !Kung hat die besondere Eigenschaft, dass jedes Individuum Dutzende von Handelspartnern hat; außerdem liegt hier ein besonders langer Zeitraum von Monaten oder auch Jahren zwischen dem Überreichen eines Geschenks und dem Erhalt eines entsprechenden Geschenks beim nächsten Zusammentreffen der Beteiligten.
Wer sind die Händler? Unter welchen Umständen und wie oft treffen sie zusammen? In kleinen Gesellschaften treibt jedermann Handel. In größeren Häuptlingstümern und den frühen Staaten jedoch spezialisierten sich die wirtschaftlichen Funktionen, und professionelle Kaufleute ähnlich denen in unserer Zeit erscheinen auf der Bildfläche; dies belegen bereits Aufzeichnungen aus der Zeit vor 4000 oder 5000 Jahren, als im Nahen Osten erstmals die Schrift entstand. Ein anderes modernes Phänomen, das in einfacheren Gesellschaften bereits seine Vorläufer hatte, besteht darin, dass ganze Gesellschaften sich auf den Handel spezialisieren. Die Inselbewohner von Malai, über deren »Wolkenkratzer« ich mich so gewundert hatte, leben auf einer so kleinen Insel, dass sie nicht alle benötigten Lebensmittel selbst produzieren konnten; deshalb wurden sie Vermittler, Hersteller und Überseehändler, womit sie ihren restlichen Lebensmittelbedarf deckten. Die Insel Malai ist also ein Vorbild für das heutige Singapur.
Was Form und Häufigkeit des traditionellen Handels angeht, gibt es ein breites Spektrum. Die einfachste Form sind die gelegentlichen Reisen einzelner !Kung und Dani zu ihren individuellen Handelspartnern in anderen Horden oder Siedlungen. An unsere Freiluft- und Flohmärkte lassen die gelegentlichen Märkte denken, auf denen die Dorfbewohner von Sio an der Küste im Nordosten Neuguineas mit Neuguineern aus landeinwärts gelegenen Dörfern zusammentrafen. Dabei setzten sich bis zu einigen Dutzend Menschen aus beiden Gruppen in Reihen einander gegenüber. Ein Bewohner aus dem Landesinneren schob einen Netzbeutel nach vorn, der zwischen 5 und 20 Kilo Taro
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