Vermächtnis
Vorteile einen Preis. Die staatliche Strafjustiz ist vorwiegend dazu da, Ziele des Staates durchzusetzen: Sie soll private Gewalt vermindern, die Menschen zur Befolgung der staatlichen Gesetze veranlassen, die Gesamtgesellschaft schützen, Verbrecher resozialisieren und Verbrechen bestrafen sowie davor abschrecken. Da diese Ziele im Mittelpunkt stehen, verringert sich in der Regel die Aufmerksamkeit des Staates für die Ziele der einzelnen Bürger, die in Kleingesellschaften an der Konfliktlösung beteiligt sind: der Wiederherstellung von Beziehungen (oder Nicht-Beziehungen) und der emotionalen Verarbeitung. Dass der Staat diese Ziele ignoriert, ist nicht unvermeidlich, aber oft werden sie übergangen, weil man sich auf die anderen Ziele des Staates konzentriert. Darüber hinaus hat die staatliche Justiz weitere Schwächen, die nicht in ihrem Wesen begründet liegen, aber weit verbreitet sind: begrenzter oder völlig fehlender Schadenersatz für die Verbrechensopfer durch die Strafjustiz (es sei denn, es wird getrennt davon ein Zivilverfahren geführt); und in Zivilverfahren eine sehr langsame Konfliktlösung, Schwierigkeiten, persönliche und emotionale Verletzungen als finanziellen Schaden zu bewerten, fehlende Erstattung von Anwaltskosten für den erfolgreichen Kläger (jedenfalls in den Vereinigten Staaten), und das Ausbleiben einer Versöhnung (oder häufig – noch schlimmer – eine Verstärkung der negativen Gefühle) zwischen den Parteien.
Wie wir erfahren haben, könnten staatliche Gesellschaften diese Probleme vielfach mit Vorgehensweisen lindern, die in kleinen Gesellschaften üblich sind. In unserer Ziviljustiz könnten wir mehr Geld in die Ausbildung und Bezahlung von Vermittlern sowie in die Verfügbarkeit von Richtern investieren. Wir könnten uns mehr um Vermittlung bemühen. Wir könnten unter gewissen Umständen dem erfolgreichen Beteiligten seine Anwaltsgebühren erstatten. In unserer Strafjustiz könnten wir in größerem Umfang mit wiederherstellender Justiz experimentieren. In der amerikanischen Strafjustiz könnte man noch einmal der Frage nachgehen, ob das europäische Vorbild, der Resozialisierung im Verhältnis zur Vergeltung mehr Gewicht zu geben, für die Verbrecher, für die Gesamtgesellschaft und für die Wirtschaft nicht sinnvoller wäre.
Alle diese Vorschläge wurden schon häufig diskutiert. Jeder davon bringt eigene Schwierigkeiten mit sich. Ich hoffe, dass die Rechtsgelehrten mit Hilfe umfassenderer Kenntnisse über die Konfliktlösungsmechanismen kleiner Gesellschaften herausfinden können, wie man diese bewunderten Vorgehensweisen auch in unser eigenes System integrieren kann.
Kapitel 3 Ein kurzes Kapitel über einen winzigen Krieg
Der Krieg der Dani
Dieses Kapitel soll mit der Kriegsführung in traditionellen Gesellschaften bekannt machen und berichtet zu diesem Zweck über eine ganz normale Folge von Kämpfen und Überfällen beim Volk der Dani in Neuguinea. Ungewöhnlich ist nur, dass die Ereignisse tatsächlich von Anthropologen beobachtet und gefilmt wurden. Die Dani sind eine der größten und dichtesten Bevölkerungsgruppen Neuguineas; der Mittelpunkt ihres Gebietes liegt im Grand Valley des Baliem River. Zwischen 1909 und 1937 hatten acht Expeditionen aus dem Westen Kontakt mit den Dani und besuchten kurz einzelne Gruppen des Volkes oder ihre Nachbarn, ohne aber in das eigentliche Tal vorzudringen. Wie ich in Kapitel 1 erwähnt habe, wurden das Tal und seine große Bevölkerung am 23 . Juni 1938 von einem Flugzeug während eines Aufklärungsfluges im Rahmen der Archbold-Expedition »entdeckt« – ungefähr 46 000 Jahre nachdem die Vorfahren der Neuguineer das Gebiet besiedelt hatten. Der erste Kontakt von Angesicht zu Angesicht folgte am 4 . August, als eine Expeditionsgruppe unter Leitung von Captain Teerink sich zu Fuß in das Tal begab. Nachdem die Archbold-Expedition das Tal im Dezember 1938 wieder verlassen hatte, fanden weitere Kontakte zwischen den Baliem-Dani und Europäern (abgesehen von einer kurzen Aktion der US -Armee, die 1945 die Mannschaft eines abgestürzten Flugzeuges rettete) erst 1954 und in den nachfolgenden Jahren statt. Damals wurden in dem Tal mehrere Missionsstationen und ein Patrouillenposten der niederländischen Regierung eingerichtet.
Im Jahr 1961 reiste eine Expedition des Peabody Museum der Harvard University in die Region, um anthropologische Studien anzustellen und Filmaufnahmen zu machen. Als Lagerplatz wählte sie eine
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