Vermächtnis
Stelle im Gebiet der Dugum-Dani, weil es dort weder eine Regierungs- noch eine Missionsstation gab und die Bewohner bis dahin relativ wenig Kontakte nach außen gehabt hatten. Wie sich herausstellte, wurde in der Region noch auf traditionelle Weise Krieg geführt. Berichte über die Kämpfe, die dort zwischen April und September 1961 stattfanden, wurden in mehreren Formen veröffentlicht: eine (auf Niederländisch verfasste) Doktorarbeit des Sozialwissenschaftlers Jan Broekhuijse von der Universität Utrecht; zwei Bücher des Anthropologen Karl Heider, der sich darin auf seine Doktorarbeit an der Harvard University stützte; ein populärwissenschaftliches Buch von Peter Matthiessen mit dem Titel
Under the Mountain Wall
; und ein Dokumentarfilm mit dem Titel
Dead Birds
, der von Robert Gardner gedreht wurde und bemerkenswerte Aufnahmen von Kämpfen zwischen speerschwingenden Stammesangehörigen enthielt.
Die nachfolgende kurze Zusammenfassung der Kriege bei den DugumDani während dieser Monate im Jahr 1961 wurde insbesondere Broekhuijses Dissertation entnommen, denn sie enthält die detailliertesten Berichte. Ergänzt wird sie durch Informationen von Heider und einige Einzelheiten von Matthiesen. Broekhuijse befragte Kampfteilnehmer, die ihm ihre Einschätzung der einzelnen Kämpfe mitteilten und sowohl ihre Stimmungslage als auch Einzelheiten über die Verwundungen der einzelnen Personen schilderten. Zwischen den drei Berichten gibt es geringfügige Diskrepanzen insbesondere in der Schreibweise der Namen bei den Dani (Broekhuijse bediente sich der niederländischen Orthographie, Heider benutzte die amerikanische Rechtschreibung) und in einigen Details wie einer Differenz von einem Tag beim Datum eines Kampfes. Alle drei Autoren tauschten aber Informationen untereinander und mit Gardner aus, und im Wesentlichen stimmen ihre Berichte überein.
Wer den zusammengefassten Bericht liest, wird wahrscheinlich genau wie ich verblüfft sein, wie viele Aspekte die Kriegsführung der Dani mit Kriegen in vielen anderen traditionellen Gesellschaften gemeinsam hat, die ich in Kapitel 4 erwähnen werde. Zu diesen gemeinsamen Merkmalen gehören insbesondere häufige Angriffe aus dem Hinterhalt und offene Schlachten (Abb. 36 ) , die jeweils nur wenige Opfer fordern, sowie als Akzente seltene Massaker, bei denen eine ganze Bevölkerungsgruppe oder ein beträchtlicher Teil davon getötet wird. Sogenannte »Stammeskriege« finden in Wirklichkeit oft oder sogar regelmäßig nicht zwischen verschiedenen Stämmen statt, sondern innerhalb eines einzigen Stammes, das heißt zwischen Gruppen, die dieselbe Sprache sprechen und dieselbe Kultur gemeinsam haben. Trotz der kulturellen Ähnlichkeit oder Übereinstimmung zwischen den Kriegsparteien werden die Feinde manchmal als minderwertig angesehen. Jungen werden bereits in der Kindheit zum Kämpfen ausgebildet, und man bringt ihnen bei, mit Angriffen zu rechnen. Sich Verbündete zu schaffen ist wichtig, aber die Bündnisse wechseln häufig. Als Motiv für den Kreislauf der Gewalt spielt Rache eine beherrschende Rolle. (Karl Heider beschreibt als Motiv stattdessen das Bedürfnis, die Geister der kürzlich getöteten Kameraden zu besänftigen.) An der Kriegsführung ist nicht nur eine kleine Berufsarmee aus erwachsenen Männern beteiligt, sondern die gesamte Bevölkerung: »Zivile« Frauen und Kinder werden ebenso absichtlich getötet wie männliche »Soldaten«. Dörfer werden niedergebrannt und geplündert. Die militärische Leistungsfähigkeit ist nach den Maßstäben der modernen Kriegsführung gering, denn die verfügbaren Waffen wirken nur über kurze Entfernungen, die Führung ist schwach, die Pläne sind einfach, militärisches Gruppentraining gibt es nicht, und es wird nicht gleichzeitig geschossen. Da aber der Krieg ein chronischer Zustand ist, hat er für das Verhalten der Menschen allgegenwärtige Folgen. Und die absolute Zahl der Todesopfer schließlich ist angesichts der geringen Größe der beteiligten Bevölkerungsgruppen (jedenfalls im Vergleich der Bevölkerung nahezu aller modernen Staaten) zwangsläufig klein, aber die relative Anzahl der Toten als Prozentsatz der Bevölkerung ist hoch.
Der Ablauf des Krieges
In dem Krieg der Dani, der hier beschrieben werden soll, griffen zwei Bündnisse, die jeweils bis zu 5000 Menschen umfassten, einander an. Damit man die fremdartig klingenden Namen der Dani besser verfolgen kann, die auf den folgenden Seiten immer wieder auftauchen,
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