Vermächtnis
rivalisierenden Gruppen innerhalb desselben politischen Gebildes, beispielsweise Kämpfe zwischen Banden in den Städten (die häufig als »Bandenkrieg« bezeichnet werden), zwischen Drogenkartellen oder zwischen politischen Gruppierungen, deren Kämpfe noch nicht das Stadium des erklärten Bürgerkrieges erreicht haben (beispielsweise die Kämpfe zwischen bewaffneten Milizen von Faschisten und Sozialisten in Italien und Deutschland). Wo sollen wir die Grenze ziehen?
Die Antwort auf diese Frage dürfte davon abhängen, welchen Zweck man mit seinen Studien verfolgt. Während der Ausbildung zukünftiger Soldaten in einer staatlich finanzierten Militärakademie ist es vielleicht angemessen, die in Kapitel 3 erzählten Geschichten über die Gewalt zwischen konkurrierenden Allianzen der Dani nicht in eine Kriegsdefinition mit einzubeziehen. Für die Zwecke des vorliegenden Buches jedoch, das sich mit dem ganzen Spektrum ähnlicher Phänomene von den kleinsten Menschenhorden aus 20 Personen bis zu den größten Staaten mit über einer Milliarde Einwohnern beschäftigt, müssen wir Krieg so definieren, dass die traditionelle Kriegsführung zwischen kleinen Gruppen nicht ausgeschlossen bleibt. Oder, wie Steven LeBlanc es formulierte: »Wenn Definitionen des Krieges für die Untersuchung der Kriegsführung in vergangenen Zeiten von Nutzen sein sollen, dürfen sie nicht von der Gruppengröße oder von den Methoden der Kämpfe abhängen … Viele Fachleute definieren Kriegsführung so, dass der Begriff etwas bezeichnet, wozu nur komplexe Gesellschaften mit Metallwerkzeugen in der Lage sind [das heißt Feldschlachten und Berufssoldaten]. Alles andere – beispielsweise hier und da der eine oder andere Überfall – ist nach ihrer Ansicht kein »richtiger« Krieg, sondern es ähnelt eher einem Spiel und ist kein Anlass zu großer Besorgnis. Eine solche Herangehensweise oder Einstellung verwechselt jedoch die Methoden des Krieges mit seinen Folgen … Führt der Konflikt zwischen unabhängigen politischen Gebilden zu einer nennenswerten Zahl von Opfern und dem Verlust von Territorium, während gleichzeitig ein gewisses Territorium nutzlos wird, weil das Leben dort zu gefährlich ist? Verwenden die Menschen viel Zeit und Energie darauf, sich zu verteidigen? … Wenn Kämpfe nennenswerte Folgen für die Menschen haben, handelt es sich um Krieg, ganz gleich, wie die Kämpfe geführt werden.« Aus dieser Sicht sollte man Krieg so umfassend definieren, dass der Begriff auch die in Kapitel 3 beschriebenen Kämpfe zwischen den Dani einschließt.
Eine recht typische Definition steht in der 15 . Auflage der
Encyclopedia Britannica
: Danach ist Krieg »ein Zustand des in der Regel offenen, erklärten bewaffneten Konflikts zwischen politischen Gebilden, beispielsweise Staaten oder Nationen, oder zwischen konkurrierenden politischen Gruppierungen innerhalb desselben Staates oder derselben Nation. Krieg ist gekennzeichnet durch die absichtliche Gewaltanwendung vonseiten großer Personengruppen, die ausdrücklich dazu organisiert und ausgebildet sind, sich an solchen Gewaltakten zu beteiligen … Als Krieg wird nach allgemeinem Verständnis nur ein bewaffneter Konflikt von relativ großem Umfang bezeichnet, womit Konflikte, an denen weniger als 50 000 Kämpfer beteiligt sind, ausgeschlossen werden.« Wie viele andere Kriegsdefinitionen, die scheinbar dem gesunden Menschenverstand entsprechen, so ist auch diese für unsere Zwecke viel zu stark eingeschränkt, denn sie setzt »große Personengruppen, die ausdrücklich organisiert und ausgebildet sind« voraus, und damit wird der Gedanke, es könne auch in kleinen Hordengesellschaften Kriege geben, abgelehnt. Die willkürlich vorausgesetzte Zahl von mindestens 50 000 Kämpfern ist mehr als das Sechsfache der gesamten Bevölkerung (männliche Krieger, Frauen und Kinder), die an den in Kapitel 3 beschriebenen Kriegen der Dani beteiligt war, und weit größer als die meisten in diesem Buch betrachteten Kleingesellschaften.
Aus solchen Gründen haben Wissenschaftler, die sich mit Kleingesellschaften befassen, verschiedene weiter gefasste Definitionen für Krieg formuliert. Sie alle ähneln einander und setzen im Allgemeinen drei Elemente voraus. Eines davon ist Gewalt, die nicht von Einzelpersonen, sondern von beliebig großen Gruppen ausgeht. (Eine Tötung, die von einem Einzelnen vollzogen wird, gilt nicht als kriegerischer Akt, sondern als Mord.) Ein zweites Element besteht darin,
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