Vermächtnis
hätten ihnen die Asuk-Belek geschickt. Obwohl hier keine Rache Auge um Auge stattgefunden hatte (der Tod nur eines Feindes kam auf die vorherige Tötung von zwei Wilihiman), ließen die Spannungen nach. Schon die Tötung eines Feindes galt als sicheres Zeichen, dass die Geister der Vorfahren ihnen nun wieder halfen.
Anfang September kam ein kleiner Junge namens Digiliak bei einem Überfall der Widaia ums Leben, und während eines Überfalls der Gutelu wurden zwei Widaia getötet. Am nächsten Tag wurde der Krieg an der Südgrenze der Gutelu ganz plötzlich durch die Einrichtung eines niederländischen Patrouillenpostens beendet, an einer anderen Grenze der Gutelu setzte er sich jedoch fort.
Alle bisher beschriebenen Aktionen hatten nur begrenzte reale Folgen: Nur wenige Menschen kamen ums Leben, und keine Bevölkerungsgruppe wurde aus ihrer Heimat vertrieben. Fünf Jahre später jedoch, am 4 . Juni 1966 , kam es zu einem großen Massaker. Es hatte seine Ursachen in Spannungen innerhalb der Gutelu-Allianz, nämlich zwischen dem Führer der Allianz, Gutelu von der Dloko-Mabel-Konföderation, und neidischen Anführern der mit ihm verbündeten Wilihiman-Walalula- und Gosi-Alua-Konföderation. Einige Jahrzehnte zuvor hatten die beiden zuletzt genannten Konföderationen Krieg gegen die Dloko-Mabel-Konföderation geführt, dann hatten die Bündnisse gewechselt. Ob Gutelu selbst den Angriff auf seine früheren Freunde geplant hatte oder ob er die Hitzköpfe unter seinen eigenen Leuten nicht zurückhalten konnte, ist nicht geklärt. Wenn die zweite Interpretation zutrifft, würde sie ein immer wiederkehrendes Thema von Stammesgesellschaften deutlich machen, in denen eine starke Führung und das Gewaltmonopol, die für Häuptlingstümer und staatliche Gesellschaften charakteristisch sind, fehlen. Der Angriff war mit Bedacht für einen Tag geplant, an dem der örtliche Missionar und die indonesische Polizei (die 1963 von den Niederländern die Kontrolle über Neuguinea übernommen hatte) zufällig gerade nicht zugegen waren. Krieger der Dloko-Mabel und andere Mitglieder aus dem Norden der Gutelu-Allianz schlichen sich im Morgengrauen im Schutz des Nebels über den Fluss Elogeta und griffen die Mitglieder im Süden der Allianz an. Innerhalb einer Stunde waren im Süden 125 Erwachsene und Kinder beiderlei Geschlechts tot oder lagen im Sterben, Dutzende von Siedlungen brannten, und andere Bündnisse, die über den bevorstehenden Angriff informiert waren, taten sich zusammen und stahlen die Schweine. Die Bewohner des Südens wären ausgerottet worden, hätten sie nicht Hilfe von einer anderen, noch weiter im Süden angesiedelten Allianz erhalten, die zuvor einmal mit ihnen verbündet gewesen war. Neben den vielen Toten hatte der Vorgang zur Folge, dass die Bewohner des Südens noch weiter nach Süden flüchteten und dass die Gutelu-Allianz in einen südlichen und einen nördlichen Teil zerfiel. Solche Massaker kommen nur selten vor und haben große Folgen. Karl Heider hörte Berichte über noch vier weitere solche Vorfälle aus der Zeit zwischen den 1930 er Jahren und 1962 , in deren Verlauf Dörfer niederbrannten, Schweine geplündert wurden und Bevölkerungsgruppen den Ort wechselten.
Zahl der Kriegsopfer
Sämtliche Kämpfe zwischen April und Anfang September 1961 forderten an der Südgrenze nur ungefähr elf Todesopfer. Selbst bei dem Massaker vom 4 . Juni 1966 lag die Zahl der Toten nur bei 125 . Für uns, die wir das 20 . Jahrhundert und zwei Weltkriege überlebt haben, erscheinen solche Zahlen so niedrig, dass sie nicht einmal die Bezeichnung »Krieg« rechtfertigen. Denken wir einmal an einige weit höhere Opferzahlen in der neueren Geschichte der Staaten: Bei den Anschlägen auf das World Trade Center am 11 . September 2001 wurden innerhalb einer Stunde 2296 Menschen getötet; im Ersten Weltkrieg kamen an einem einzigen Tag, dem 1 . Juli 1916 , während der Schlacht an der Somme 20 000 britische Soldaten ums Leben, niedergemäht, als sie auf offenem Gelände deutsche Stellungen angriffen, die mit Maschinengewehren verteidigt wurden; am 6 . August 1945 fielen rund 100 000 Japaner in Hiroshima der amerikanischen Atombombe zum Opfer (Abb. 37 ) ; und insgesamt starben im Zweiten Weltkrieg mehr als 50 Millionen Menschen. Nach diesen Maßstäben waren die Kämpfe zwischen den Dani, über die ich gerade kurz berichtet habe, ein winziger Krieg – wenn man überhaupt von Krieg sprechen will.
Ja, gemessen an der
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