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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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dass die Gewalt zwischen Gruppen stattfindet, die zu unterschiedlichen politischen Gebilden und nicht zu ein und demselben gehören. Und drittens schließlich muss die Gewalt von der gesamten politischen Einheit sanktioniert werden, selbst wenn sie nur von einigen ihrer Mitglieder ausgeführt wird. Die Tötungsdelikte zwischen den Familien Hatfield und McCoy stellten also keinen Krieg dar, denn beide Familien gehörten zu demselben politischen Gebilde (den Vereinigten Staaten), und die Vereinigten Staaten als Ganzes billigten die Familienfehde nicht. Durch die Kombination dieser Elemente gelangt man zu einer kurzen Definition für Krieg, die ich in diesem Buch verwenden werde; sie ähnelt Definitionen von anderen Wissenschaftlern, die Klein- und Staatsgesellschaften erforschen: »Krieg ist die immer wiederkehrende Gewalt zwischen Gruppen, die zu konkurrierenden politischen Einheiten gehören, wobei die Gewalt von diesen Einheiten gutgeheißen wird.«
    Informationsquellen
    Der Bericht über den Krieg der Dani in Kapitel  3 könnte den Schluss nahelegen, dass es einfach ist, traditionelle Kriege zu untersuchen: Schicke Doktoranden und ein Filmteam los, beobachte und filme die Kämpfe, zähle die verwundeten und toten Krieger, die zurückgebracht werden, und frage die Beteiligten nach weiteren Einzelheiten. Über den Krieg der Dani stehen uns solche Befunde zur Verfügung. Hätten wir Hunderte solcher Studien, gäbe es keine Meinungsverschiedenheiten darüber, dass traditionelle Kriege Realität sind.
    In Wirklichkeit ist die unmittelbare Beobachtung traditioneller Kriege durch Wissenschaftler, die Kameras bei sich haben, aus mehreren naheliegenden Gründen die Ausnahme, und in der Frage, welchen Umfang sie in Abwesenheit europäischer Einflüsse haben, gibt es gewisse Meinungsverschiedenheiten. Als die Europäer sich seit 1492 über die ganze Welt ausbreiteten und dabei nichteuropäische Völker kennenlernten und eroberten, gehörte es zu den ersten Maßnahmen der europäischen Regierungen, die traditionelle Kriegsführung zu unterdrücken: Dies diente der Sicherheit der Europäer selbst und der Verwaltung der eroberten Gebiete, galt aber auch als Teil einer vermeintlichen Zivilisationsmission. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als in der Wissenschaft der Anthropologie das Zeitalter der zahlreichen gut finanzierten Feldstudien und Doktoranden anbrach, beschränkte sich die Kriegsführung zwischen traditionellen Kleingesellschaften im Wesentlichen auf die Insel Neuguinea und einige Teile Südamerikas. Auf den Pazifikinseln, in Nordamerika, bei den australischen Ureinwohnern, in Afrika und Eurasien war sie schon lange vorher zu Ende gegangen, in moderner Form tritt sie allerdings in manchen Regionen in jüngster Zeit wieder auf, insbesondere in Afrika und Neuguinea.
    Selbst in Neuguinea und Südamerika bestanden in jüngerer Zeit für Anthropologen nur begrenzte Möglichkeiten, die traditionelle Kriegsführung aus erster Hand zu beobachten. Regierungen schätzen weder die Probleme noch die Öffentlichkeitswirksamkeit, die sich ergeben, wenn unbewaffnete, verletzliche Außenstehende von kriegführenden Stammesangehörigen angegriffen werden. Die Regierungen wollen aber auch nicht, dass Anthropologen bewaffnet sind und dann als erste Vertreter von Staatsgesellschaften in ein nicht befriedetes Stammesterritorium eindringen, um dort die Kämpfe selbst mit Gewalt zu beenden. Deshalb bestanden sowohl in Neuguinea als auch in Südamerika staatliche Reisebeschränkungen, bis eine Region offiziell für befriedet und als ungefährlich für Besucher erklärt wurde. Dennoch ist es manchen Wissenschaftlern und Missionaren gelungen, in Gebieten zu arbeiten, in denen noch Kämpfe stattfanden. Bemerkenswerte Beispiele waren 1961 die Beobachter in der Region der Dani; dort hatte man zwar im Baliem Valley bereits einen niederländischen Patrouillenposten eingerichtet, aber die Harvard-Expedition hatte die Erlaubnis, außerhalb des unter staatlicher Kontrolle stehenden Gebietes zu arbeiten; weiterhin die Arbeit der Familie Kuegler beim Volk der Fayu im Westen Neuguineas seit 1979 ; und die Arbeit von Napoleon Chagnon bei den Yanomamo-Indianern in Venezuela und Brasilien. Selbst in diesen Studien, die einige unmittelbare Kriegsbeobachtungen enthielten, wurden aber die Einzelheiten zu einem großen Teil nicht direkt von den Besuchern aus dem Westen beobachtet, die darüber schrieben, sondern diese erhielten sie aus zweiter Hand von einheimischen

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