Vermächtnis
denn wir erzielen diesen Vorteil auf Kosten eines Nachteils: Im Hinblick auf die Tatsachen besteht größere Unsicherheit, weil die Kämpfe weder unmittelbar beobachtet noch aufgrund von Berichten lokaler Augenzeugen beschrieben wurden; stattdessen muss man Rückschlüsse aus archäologischen Befunden ziehen, was mit vielerlei Unsicherheiten behaftet ist. Ein archäologischer Befund, der ohne Zweifel auf Kämpfe hindeutet, sind Haufen von Skeletten, die ohne die üblichen Kennzeichen für eine absichtliche, ordnungsgemäße Bestattung übereinandergeworfen wurden und Schnittspuren oder Knochenbrüche zeigen, die erkennbar von Waffen oder Werkzeugen stammen. Dazu gehören auch Knochen mit eingedrungenen Pfeilspitzen, Knochen mit Schnittspuren von Äxten und anderen scharfen Waffen, Schädel mit langen, geraden Schnittspuren, die auf das Skalpieren hindeuten, oder Schädel mit einem oder zwei anhängenden Wirbeln, wie sie nach einer Enthauptung (zum Beispiel bei der Kopfjagd) übrig bleiben. In Talheim in Südwestdeutschland beispielsweise studierten Joachim Wahl und Hans König 34 Skelette, die sie als 18 Erwachsene (neun Männer, sieben Frauen und zwei Personen mit nicht gesicherter Geschlechtszugehörigkeit) und 16 Kinder identifizieren konnten. Die Toten waren um 5000 v.Chr. ungeordnet in eine Grube geworfen worden und nicht von den Grabbeigaben begleitet, die man normalerweise nach einer respektvollen Bestattung durch Angehörige findet. Nicht verheilte Schnittspuren an der rechten hinteren Oberfläche von 18 Schädeln zeigten, dass diese Menschen an Schlägen gestorben waren, die man ihnen mit mindestens sechs verschiedenen Äxten von hinten zugefügt hatte und die offenbar von Rechtshändern geführt wurden. Es handelte sich um Opfer unterschiedlichsten Alters, von kleinen Kindern bis zu einem Mann von ungefähr 60 Jahren. Offensichtlich war eine ganze Gruppe, die aus einem halben Dutzend Familien bestand, zur gleichen Zeit von einer viel größeren Horde Angreifer hingemetzelt worden.
Weitere archäologische Belege für Kriege sind Funde von Waffen, Rüstungen und Schilden sowie Befestigungen. Manche Waffen sind zwar kein eindeutiger Hinweis auf Kriege, denn Speere sowie Pfeil und Bogen kann man nicht nur zur Tötung von Menschen, sondern auch zur Jagd auf Tiere verwenden, Kampfbeile und Haufen mit großen Schleudersteinen sind jedoch ein Beleg für Kriege: Sie werden vorwiegend oder ausschließlich gegen Menschen eingesetzt, nicht aber gegen Tiere. Auch Rüstungen und Schilde werden nicht bei der Jagd, sondern nur im Krieg benutzt. Ihre Verwendung im Krieg ist in vielen ethnographischen Beschreibungen heutiger traditioneller Völker belegt, so bei Neuguineern, australischen Aborigines und Inuit. Entsprechend sind ähnliche Rüstungen und Schilde, die man an archäologischen Fundstätten entdeckt, auch ein Beleg für Kämpfe in der Vergangenheit. Zu den archäologischen Spuren der Kriegsführung gehören auch Befestigungen, darunter Mauern, Gräben und Tore, die sich verteidigen lassen, sowie Türme zum Abschießen von Geschossen gegen Feinde, die auf die Mauern klettern wollen. Als die Europäer beispielsweise Anfang des 19 . Jahrhunderts mit der Besiedelung Neuseelands begannen, verfügte die einheimische Bevölkerung der Maori über Bergfestungen, die Pa genannt wurden und anfangs für die Kämpfe untereinander, dann aber auch zur Verteidigung gegen die Europäer benutzt wurden. Man kennt ungefähr 1000 Maori-Pa; viele davon wurden archäologisch ausgegraben und auf eine Zeit viele Jahrhunderte vor Ankunft der Europäer datiert, aber sie ähneln denen, deren Verwendung die Europäer noch beobachteten. Es besteht deshalb kein Zweifel, dass die Maori auch lange vor dem Eintreffen der ersten Europäer gegeneinander kämpften.
Und schließlich befinden sich manche archäologischen Siedlungsstätten auf Bergen oder den Abhängen und Gipfeln von Klippen, also an Stellen, die nur sinnvoll sind, wenn sie der Verteidigung gegen feindliche Angriffe dienen. Bekannte Beispiele sind die Siedlungen der Anasazi-Indianer in Mesa Verde und an anderen Stellen im Südwesten Nordamerikas: Sie sind an Klippenwänden und Überhängen angelegt, wo man sie nur über Leitern erreichen kann. Wegen ihrer Lage hoch über dem Talboden mussten Wasser und andere Vorräte mehrere hundert Meter nach oben transportiert werden. Als die ersten Europäer in den Südwesten kamen, nutzten die Indianer solche Orte als
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