Vermächtnis
Rückzugsgebiete, wo sie sich versteckten oder gegen die Fremden verteidigten. Man nimmt deshalb an, dass Behausungen auf Klippen, die archäologisch auf eine Zeit viele Jahrhunderte vor Eintreffen der Europäer datiert wurden, auf ganz ähnliche Weise der Verteidigung gegen Angriffe durch andere Indianer dienten; insbesondere wurden solche Orte im Laufe der Zeit, als die Bevölkerungsdichte und die Indizien für Gewalt zunahmen, immer häufiger als Zuflucht genutzt. Und als würden alle diese archäologischen Indizien noch nicht ausreichen, zeigen auch Felsmalereien aus Zeiten bis zum oberen Pleistozän Kämpfe zwischen gegnerischen Gruppen, die Tötung von Menschen mit Speeren und Konflikte, in denen Menschen sich mit Bogen, Pfeil, Schilden, Speeren und Knüppeln bekämpfen. Höher entwickelte Kunstwerke in dieser Tradition, die aber ebenfalls noch vor Ankunft der Europäer entstanden, sind die berühmten Maya-Wandgemälde in Bonampak: Sie wurden um 800 n.Chr. geschaffen und zeigen Kämpfe sowie die Folterung von Gefangenen in blutrünstig-realistischen Details.
Wir haben also drei Kategorien umfangreicher Informationen über die traditionelle Kriegsführung: von modernen Beobachtern, Archäologen und Kunsthistorikern. Sie beziehen sich auf Kleingesellschaften aller Größenordnungen, von Horden bis zu größeren Häuptlingstümern und den frühen Staaten.
Formen traditioneller Kriege
Kriege gab es sowohl früher als auch heute in vielfältigen Formen. Grundsätzlich wandte man in der traditionellen Kriegsführung die gleichen Taktiken an, die auch heute von modernen Staaten eingesetzt werden, soweit sie für Stammesgesellschaften technisch möglich waren. (Die Mittel für einen Luftkrieg standen den Stämmen natürlich nicht zur Verfügung, und der Seekrieg mit spezialisierten Kriegsschiffen ist erst aus der Zeit nach der Entwicklung erster Staatsregierungen seit 3000 v.Chr. belegt.) Eine bekannte, bis heute praktizierte Taktik ist die Feldschlacht, bei der zahlreiche gegnerische Krieger sich gegenüberstehen und offen kämpfen. Dies ist die erste Taktik, die uns im Zusammenhang mit der modernen Kriegsführung zwischen Staaten einfällt – berühmte Beispiele sind die Schlachten von Stalingrad, Gettysburg oder Waterloo. Sieht man vom Umfang und den Waffen einmal ab, wären solche Schlachten auch den Dani vertraut vorgekommen.
Die zweite vertraute Taktik ist der Überfall: Eine Gruppe von Kriegern, die so klein ist, dass sie sich verstecken kann, rückt im Schutz der Dunkelheit vor und führt einen Überraschungsangriff auf feindlichem Territorium aus, wobei das begrenzte Ziel darin besteht, einige Feinde zu töten oder ihr Eigentum zu zerstören und sich dann zurückzuziehen; die Erwartung, die gesamte gegnerische Armee zu zerstören oder feindliches Territorium auf Dauer zu besetzen, besteht dabei nicht. Diese vielleicht am weitesten verbreitete Form der traditionellen Kriegsführung ist in den meisten traditionellen Gesellschaften dokumentiert; Beispiele sind die Überfälle der Nuer auf die Dinka oder der Yanomamo untereinander. Die Überfälle der Dani am 10 . Mai, 26 . Mai, 29 . Mai, 8 . Juni, 15 . Juni, 5 . Juli und 28 . Juni 1961 habe ich bereits beschrieben. Auch in der Kriegsführung zwischen Staaten gibt es eine Fülle von Beispielen für Überfälle durch Infanterie oder heute auch durch Schiffe und Flugzeuge.
Dem Überfall ähnlich und in der traditionellen Kriegsführung ebenfalls weit verbreitet ist der Angriff aus dem Hinterhalt. Bei dieser Form des Überraschungsangriffs rücken die Angreifer nicht heimlich vor, sondern sie verstecken sich und warten an einer Stelle, an der arglose Feinde wahrscheinlich vorüberkommen werden. Für die Dani habe ich Angriffe aus dem Hinterhalt am 27 . April, 10 . Mai, 4 . Juni, 10 . Juni, 12 . Juni und 28 . Juli 1961 beschrieben. Auch in der modernen Kriegsführung ist der Angriff aus dem Hinterhalt beliebt; begünstigt wird er hier durch Radar und Code-Entschlüsselungsverfahren, mit denen man Bewegungen des Feindes leichter aufspüren kann, während die Partei, die im Hinterhalt liegt, nicht ohne weiteres entdeckt wird.
Eine traditionelle Taktik, die in der modernen Kriegsführung zwischen Staaten keine Parallele hat, ist das betrügerische Festmahl, das sowohl bei den Yanomamo als auch in Neuguinea dokumentiert ist: Man lädt Nachbarn zu einem Fest ein, und nachdem sie dann ihre Waffen niedergelegt haben und ihre Aufmerksamkeit auf das
Weitere Kostenlose Bücher